(GRS 388) WINO I - Untersuchungen zum Aufbau einer zentralen Wissensbasis für Notfälle in ausländischen Kernkraftwerken

M. Leberecht, D. Voß, A. Kreuser, H. Nitschke, A. Bücherl, T.-K. Rollar, C.-L. Giorio, M. Hage, U. Büttner, H. Thielen, H. Holtschmidt, M. Jopen, S. Blum

Ziel dieses Vorhabens war es Konzepte für eine Wissensbasis zu entwickeln, die im Falle eines Notfalls in einer ausländischen kerntechnischen Anlage als Informationsgrundlage für die GRS-Mitarbeiter im Notfallzentrum oder für die Experten einer anderen Organisation in einer vergleichbaren Situation dienen kann. Zunächst wurden, unter Berücksichtigung international etablierter Vorgehensweisen zur Einstufung von kerntechnischen Anlagen im Rahmen der Notfallplanung, Kriterien erarbeitet, an Hand denen beurteilt werden kann, ob sich für eine kerntechnischen Anlage die Notwendigkeit ergibt Informationen für potentielle Notfälle vorzuhalten. Unter Verwendung dieser Kriterien wurde eine Liste an Forschungsreaktoren und eine Liste an Leistungsreaktoren im europäischen Ausland erstellt, die in einer Wissensbasis für Notfälle zu berücksichtigen wären. Versuche ausländische Zwischen- und Endlager sowie sonstige kerntechnische Anlagen (Konversion, Anreicherung, BE-Fertigung, Wiederaufarbeitung) an Hand dieser Kriterien einzustufen zeigten, dass nicht ausreichend Informationen zur Verfügung stehen um zu entscheiden, ob und wenn ja welche dieser Anlagen zu berücksichtigen wären. Für Zwischen- und Endlager kann zumindest aus einer Analogiebetrachtung deutscher Anlagen, für die detaillierte Informationen vorliegen, geschlossen werden, dass diese nicht für eine Wissensbasis für Notfälle relevant sind.
Anschließend wurde analysiert, welche anlagentechnischen Parameter eines Kernreaktors im Notfall zur Lageeinschätzung benötigt werden oder hilfreich sein können. Zur späteren Auswertung der verfügbaren Informationsquellen wurden diese Kenndaten in einer Excel-Datei hinterlegt. Es wurde untersucht inwieweit innerhalb der GRS vorhandene Rechencodes in ihrem momentanen Entwicklungsstand bei Notfällen in ausländischen Kernkraftwerken zum Einsatz kommen können und ob der Einsatz durch eine Schnittstelle mit der Wissensbasis vereinfacht werden kann, z. B. indem die entsprechenden anlagespezifischen Eingabedatensätze hinterlegt werden. Im Ergebnis zeigte sich, dass lediglich für das Programm ARTM zur Ausbreitungsmodellierung eine direkte Einbindung von anlagenspezifischen Eingabedatensätzen sinnvoll realisiert werden kann. Für die Abschätzung derivativer störfallrelevanter Daten wurden daher alternative Ansätze erarbeitet: Erstens die Bevorratung von Ergebnissen von Analysen schwerer Unfälle, insbesondere von PSA der Stufe 2. Zweitens die Verwendung von einfachen Abschätzungen, um störfallspezifische derivative Größen zu bestimmen, wie beispielsweise die Zeiten bis zum Eintritt von Eckpunkten des Ereignisablaufes. Um die grundsätzliche Umsetzbarkeit dieser Ansätze zu demonstrieren wurden für eine ausländische Anlage Ergebnisse von Analysen schwerer Unfälle recherchiert und zwei Abschätzungen detaillierter in Excel ausgearbeitet (Kernfreilegungszeit von DWR bei abgekoppelter Sekundärseite, Kernschadensumfang an Hand der Dosisleistung im Containment).
Es wurden Anforderungen an Systeme zur Datenhaltung und zur Realisierung der Benutzeroberfläche erarbeitet und verbreitete Softwarelösungen zur Umsetzung diskutiert. Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen erfolgte eine Auswahl der Software zur praktischen informationstechnischen Erprobung des Konzepts. Zur Darstellung der Kenndaten wurde ein Konzept erarbeitet, bei dem der Benutzer zunächst die Anlage, zu der er Informationen benötigt, auswählt. Alternativ kann die Auswahl auch an Hand des Standorts oder des Reaktortyps erfolgen. Danach werden die Informationen, soweit vorhanden, nach Themengebieten gruppiert angezeigt.
Mit Hilfe der erstellten Kenndatenlisten wurden die Dokumentation des EU-Stresstests, die GRS-Dokumentationssysteme TECDO und Doku-OST, die WWER-Reaktorhandbücher, die bereits bestehenden GRS-Notfalldatensätze, die IAEA-Datenbanken PRIS, IRS und RRDB und die Internetseiten der Betreiber/Aufsichtsbehörden nach verwendbaren Informationen durchsucht. Dabei konnte insgesamt ein großer Anteil der notwendigen Kenngrößen ermittelt werden. Im Rahmen der Auswertung der vorliegenden Informationsquellen zeigte sich allerdings auch, dass speziell die verfügbaren Informationen zu Forschungsreaktoren nicht ausreichend sind, um verwendbare Notfalldatensätze zu erstellen.
Weiterhin wurde untersucht, wie eine Wissensbasis für Notfälle in die GRS-Notfallstrukturen eingebunden werden kann. Im Ergebnis soll die Wissensbasis einerseits über TECDO und andererseits über das GRS-Notfallportal erreichbar sein. Um eine Robustheit gegenüber Ausfällen in der elektronischen Infrastruktur zu erreichen, sollen außerdem an den Notfallzentren Papierversionen und pdf-Dokumente mit den wesentlichen Inhalten der Datenbank hinterlegt werden. Zur Entnahme der Kenndaten und der Verwendung der Abschätzungen wurden Workflows erarbeitet und ein Konzept zum Training dieser Tätigkeiten entwickelt.