Programmpaket AC²

Die GRS hat ihre Softwares zur Simulation von Stör- und Unfällen in Kernkraftwerken zu einem großen Programmpaket gebündelt: AC² verbindet die Rechencodes ATHLET, ATHLET-CD und COCOSYS und ermöglicht so eine systemübergreifende Prüfung kerntechnischer Schutzziele.

Anwendungsbereiche von AC²

Namensgeber und gleichzeitig Hauptbestandteile von AC² sind die drei von der GRS in Kooperation mit nationalen sowie internationalen Partnern entwickelten Simulationsprogramme ATHLET, ATHLET-CD und COCOSYS. Diese sind in AC² miteinander gekoppelt und ermöglichen so die Simulation des thermohydraulischen Verhaltens im Kühlkreislauf im direkten Zusammenspiel mit den Effekten im Sicherheitsbehälter während des Betriebs, bei Störungen sowie bei Stör- und Unfällen in kerntechnischen Anlagen.

Mit ATHLET lassen sich die Reaktionen der Anlage auf unterschiedliche Ereignisse (Lecks, Ausfall oder Fehlfunktionen verschiedener Systeme) in Kernkraftwerken sowie Forschungsreaktoren analysieren. Die Erweiterung ATHLET-CD ermöglicht die Berechnung der Zerstörung von Brennelementen während eines Unfalls und die Freisetzung von Radioaktivität in der Anlage. Hiermit lässt sich beispielsweise die Bildung und Verlagerung von Schmelzen im Kernbereich sowie in darunter liegenden Bereichen des Reaktorgebäudes modellieren und berechnen. Mit COCOSYS können die Vorgänge im Sicherheitsbehälter bei Betrieb und Störungen sowie bei Stör- und Unfällen mit Freisetzung radioaktiver Stoffe simuliert werden. Ein weiterer Bestandteil von AC² ist das Visualisierungswerkzeug ATLAS.

Für welche Reaktortypen kann AC² eingesetzt werden?

Neben gängigen Leichtwasserreaktoren, wie sie unter anderem auch in Deutschland betrieben wurden, können mit AC² beispielsweise auch aktuell in Bau oder in Entwicklung befindliche Leichtwasserreaktoren simuliert werden, die über passive Systeme zur Nachwärmeabfuhr verfügen. Weitere Anwendungsgebiete sind sogenannte innovative Reaktorkonzepte. Hierzu zählen unter anderem der Blei-Bismut-gekühlte MYRRHA-Reaktor, der derzeit in Belgien geplant wird, sowie kleine modulare Reaktoren (SMR).

Welche Erweiterungen hat die neuste AC²-Version?

Für die neue Version von AC² wurden Verbesserungen und Erweiterungen an den einzelnen Code-Bestandteilen vorgenommen. 

Die neue Version von ATHLET ermöglicht unter anderem eine genauere Simulation der Wärmeübertragung in passiven Wärmeabfuhrsystemen. Diese Systeme übernehmen in modernen Reaktoren bzw. Reaktorkonzepten zunehmend die Aufgaben der klassischerweise meist mit Pumpen betriebenen aktiven Sicherheitssysteme. Der wesentliche Vorteil dabei ist, dass diese passiven Systeme allein aufgrund der Naturgesetze funktionieren, also zum Beispiel Gravitation, freie Konvektion oder Verdampfung und Kondensation. Sie sind auf keine eigene Energieversorgung (z. B. Strom) angewiesen, die – wie in Fukushima Daiichi – ausfallen kann. Während der in Frankreich, Großbritannien und Finnland in Bau befindliche Europäische Druckwasserreaktor (EPR) sowohl aktive als auch passive Systeme vorsieht, sollen bei dem in China betriebenen AP1000 Störfälle allein mit passiven Systemen beherrscht werden können. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die derzeit häufig diskutierten SMR-Konzepte, wie das zu NuScale (USA) und NUWARD (Frankreich).

Die aktuellen Verbesserungen in ATHLET erlauben auch die Simulation von SMR-Konzepten mit anderen Kühlmedien (Gas, Salzschmelze bzw. Flüssigmetalle). 
Mit der Überarbeitung von ATHLET-CD haben Anwenderinnen und Anwender die Möglichkeit, den Reaktorkern noch flexibler zu modellieren und so lokale Effekte bei der Kernzerstörung besser abzubilden. Dies ermöglicht es zudem, mit der neuen Programmversion Unfälle mit Zerstörung der Brennelemente im Brennelementlagerbecken angemessen zu simulieren. Schließlich kann mit dem AIDA-Modul die Rückhaltung eines geschmolzenen Kerns im Reaktordruckbehälter durch Kühlung des Reaktordruckbehälters von außen genauer bewertet werden. Es handelt sich dabei um eine wichtige Notfallmaßnahme vieler Reaktorkonzepte zur Minimierung radioaktiver Freisetzungen.

Die aktualisierte Version von COCOSYS enthält unter anderem ein neues generisches Core-Catcher-Modell. Core-Catcher werden in manchen Reaktoren ab der Generation 3, wie dem EPR oder dem WWER-1200, vorgesehen, um bei einem Unfall mit Kernschmelze diese innerhalb des Containments aufzufangen und abzukühlen und so die Freisetzung von Radioaktivität zu minimieren. COCOSYS berücksichtigt alle in diesem Prozess relevanten Phänomene, wie die Wechselwirkung zwischen der Schmelze und anderen Materialien oder auch die Schichtung der Schmelze. Darüber hinaus enthält das Programm das neu entwickelte Modul NewAFP (New Aerosol and Fission Products) für eine realistischere Simulation von Aerosolen und Spaltprodukten und deren Verhalten im Sicherheitsbehälter und im Reaktorgebäude.

Anwendung: Wer nutzt AC²?

Das Programmpaket AC² wird weltweit von mehr als 50 Aufsichtsbehörden, Gutachterorganisationen und Hochschulen sowie Forschungszentren zur Überprüfung und Erforschung der Sicherheit von Kernkraftwerken und sonstigen kerntechnischen Anlagen genutzt. Die GRS stellt die Software den jeweiligen Institutionen kostenlos zur Verfügung.

Aufsichtsbehörden und deren Gutachter nutzen die GRS-Rechenkette unter anderem zur Prüfung von Nachweisen, die vom Betreiber in kerntechnischen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren vorgelegt werden müssen. Des Weiteren werden die Programme eingesetzt, um Unfallabläufe wie die in Fukushima zu rekonstruieren und besser zu verstehen. Die Ergebnisse der Rechnungen leisten einen Beitrag, um die Bergung des Kernbrennstoffs und den Rückbau zu planen.