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Wachkabinen

Sicherung von kerntechnischen Einrichtungen in der Ukraine – Einblicke in die Arbeit der Deutsch-Ukrainischen Kooperation

Die russische Invasion beeinflusst das Leben und die Sicherheit der Menschen in der Ukraine auf vielen Ebenen. Mit der Einnahme der Kernkraftwerk-Standorte Tschernobyl, der inzwischen wieder unter ukrainischer Kontrolle ist, sowie Saporischschja sind auch kerntechnische Einrichtungen in die Kriegshandlungen mit einbezogen worden und damit auch vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Die GRS ist schon seit Jahrzehnten mit ukrainischen Partnerorganisationen im engen fachlichen Austausch, wobei auch die Sicherung der Anlagen, also der physische Schutz, eine Rolle spielt. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes setzt die GRS gemeinsam mit ukrainischen und nationalen Partnern konkrete Maßnahmen um, die zu einer verbesserten Sicherung der dortigen Anlagen beitragen.

Geht es um Voraussetzungen für den sicheren Betrieb eines Kernkraftwerks (KKW) denken die meisten Menschen wohl zuerst an sicherheitstechnische Aspekte. So können unter anderem Naturkatastrophen, menschliche Fehler oder technische Probleme die Sicherheit eines KKWs beeinträchtigen, weshalb es für diese Szenarien hohe Anforderungen bezüglich vorbeugender Maßnahmen gibt.

Sicherheit und Sicherung als Grundpfeiler der kerntechnischen Sicherheit

Abbildung 1: Skizze zur Anlagensicherung
© NRC, bearbeitet
Skizze zur Anlagensicherung

Im Gegensatz zur Sicherheit (safety) beschäftigt sich die Sicherung (security)  mit dem Schutz vor vorsätzlichen Störmaßnahmen und  sonstigen Einwirkungen Dritter (SEWD), wobei mit „Dritte“ die jeweiligen Täterinnen oder Täter gemeint sind.

Denkbare Gefährdungsszenarien im Zusammenhang mit der Sicherung von KKW sind beispielsweise

  • das Entwenden radioaktiver Stoffe,
  • die Freisetzung von Radioaktivität, beispielsweise durch gezielte Sabotage (Innentäter),
  • oder die Freisetzung nach Entwendung.

Anzumerken ist, dass sich das Arbeitsfeld der Sicherung im nuklearspezifischen Bereich nicht allein auf KKW (und Forschungsreaktoren) beschränkt. Prinzipiell sind Fragestellungen der Sicherung überall mitzuberücksichtigen, wo es um den Umgang mit radioaktiven Stoffen (also auch Stoffe, die keine Kernbrennstoffe sind) geht. Das betrifft beispielsweise Zwischen- und Endlager oder Anwendungen im medizinischen Bereich.

Gute Kontakte zu Aufsichtsbehörden und Betreibern

Für KKW bedeutet Sicherung zuerst einmal zu verhindern, dass Unbefugte das Anlagengelände betreten oder von außen darauf Einfluss nehmen. Für Zugangskontrollen haben sich baulich-technische Maßnahmen wie Mauern, Zäune, massive Tore und Türen oder sogenannte Zugangskontrollsysteme, ergänzt um personelle Maßnahmen wie Objektsicherungsdienste, bewährt. Sie spielen auch heutzutage, angepasst an moderne technische Standards und regulatorische Anforderungen, in der Sicherung von kerntechnischen Anlagen eine große Rolle. Die genauen Regelwerke dafür unterscheiden sich von Land zu Land, auch wenn es hierzu internationale Standards mit grundlegenden Empfehlungen gibt.

Wie auch in anderen Bereichen, die die kerntechnische Sicherheit betreffen, ist der internationale Austausch eine überaus bereichernde Komponente der Sicherung. Dementsprechend hat die GRS über die Jahrzehnte vertrauensvolle Kontakte zu Aufsichtsbehörden und Betreibern im Ausland aufgebaut und pflegt diese. In diesem Zusammenhang kooperiert die GRS im Auftrag des Auswärtigen Amtes (AA) auch mit einer Reihe osteuropäischer Staaten. Die Kolleginnen und Kollegen aus der Abteilung Sicherung der GRS profitieren dabei einerseits vom Wissensaustausch, andererseits kann durch die gemeinsame Arbeit sowie die finanzielle Unterstützung des AA das Sicherungsniveau der ausländischen Anlagen aufrechtgehalten und angehoben werden.

AA und GRS engagieren sich schon seit vielen Jahren in der Ukraine

So engagieren sich GRS und AA unter anderem auch seit vielen Jahren in der Ukraine. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges hat sich die Dringlichkeit von Fragen bezüglich der Sicherung noch einmal deutlich verschärft. Die Einbeziehung von kerntechnischen Anlagen in kriegerische Auseinandersetzungen, wie beispielsweise die Einnahme des Kernkraftwerks Saporischschja Anfang März 2022, stellt die globale Gemeinschaft vor nie dagewesene Herausforderungen.

Bei der Sicherung ist also vor allem an die eingangs erwähnten Gefährdungsszenarien zu denken, vor denen die ukrainischen KKW zu schützen sind. Mit der verschärften Bedrohungslage haben sich mit Kriegsbeginn in der Ukraine auch die Voraussetzungen für die internationale Zusammenarbeit grundlegend verändert. So sind bei einem aktuell von der GRS betreuten und vom AA finanzierten Projekt, in dessen Zuge der physische Schutz der in Betrieb befindlichen ukrainischen KKW verbessert wird, keine Standortbesuche möglich, der direkte Austausch ist eingeschränkt.

„Letztmalig konnten wir im Sommer 2021 unsere Partner vor Ort besuchen. Es ist natürlich erschreckend, wie sich der Alltag unserer ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und dadurch auch unsere Kontaktmöglichkeiten seit Kriegsbeginn verändert haben. Aber ich denke, dass wir uns der neuen Situation schnell angepasst haben – hier haben alle Beteiligten hervorragende Arbeit geleistet.“

Dr. Stephan Theimer,

verantwortlicher Projektleiter der GRS

Offizieller Startschuss fiel 2015

Der offizielle Startschuss zu den Ukraine-Projekten des Auswärtigen Amtes mit der GRS fiel bereits 2015, nachdem Russland die Krim annektiert hatte. Bei einem ersten Treffen nahmen ukrainische und deutsche Vertreterinnen und Vertreter gemeinsam eine Lagebewertung vor und eruierten, welche zusätzlichen Maßnahmen bezüglich der Sicherung der ukrainischen KKW erforderlich und umsetzbar seien.  

Förderungswürdige Maßnahmen werden mit den Partnern geplant, projektiert, beschafft, transportiert, vor Ort implementiert und gepflegt. Um eine ganzheitliche Analyse und Bewertung durchzuführen, macht sich das Know-how benachbarter Fachabteilungen innerhalb der GRS bezahlt. Auch hier bestehen teils seit Jahrzehnten Verbindungen in die Staaten der ehemaligen Sowjetunion, was sich in vertieften Fachkenntnissen sowie persönlichen Kontakten niederschlägt.

So sieht die Zusammenarbeit aus

Gemeinsam mit den Partnern in der Ukraine erfolgt eine Sicherungsanalyse und -bewertung, deren Ergebnis die Identifikationen von sogenannten Härtungs- und Modernisierungsbedarfen ist. Nach Feststellung der Förderungswürdigkeit einzelner Maßnahmen, wie beispielsweise Zugangskontrollsysteme, Durchfahrschutzsysteme mit entsprechenden maßgefertigten und robusten Barrieren oder Videoüberwachungssysteme, erfolgt die Ausschreibung.

Abbildung 2: Dr. Stephan Theimer bei einer Werksabnahme

„Die in Frage kommenden Lieferanten besuchen wir gemeinsam mit unseren ukrainischen Partnern und beurteilen deren Leistungsfähigkeit und Eignung, bevor sich die ukrainische Seite auf dieser Grundlage entscheidet“, erklärt Projektleiter Stephan Theimer.  (Hier entlang zum vollen Interview.)

Die Kommunikation mit den ukrainischen Kolleginnen und Kollegen kann aufgrund der Kriegssituation derzeit nur schriftlich, telefonisch und in Form von Videokonferenzen stattfinden. „Natürlich ist das schade“, sagt Stephan Theimer, „aber unsere Zusammenarbeit hat sich schon vor Kriegsbeginn durch Zuverlässigkeit und freundschaftliche Verbundenheit ausgezeichnet. Dieses Zusammenarbeiten auf Augenhöhe kommt uns jetzt umso mehr zugute.“

„Unsere Zusammenarbeit hat sich schon vor Kriegsbeginn durch Zuverlässigkeit und freundschaftliche Verbundenheit ausgezeichnet.“

Dr. Stephan Theimer,

verantwortlicher Projektleiter bei der GRS

Von der Planung bis zum Einsatz vor Ort

Zunächst erteilt das AA die Freigabe zur Beschaffung von Sicherungsausrüstung. Anschließend werden umfangreiche Vertragsmodalitäten geregelt, wobei unter anderem Ein- und Ausfuhrbestimmungen zu berücksichtigen sind. Nach der ausrüstungsspezifischen Zeichnungsfreigabe aus der Ukraine erfolgt der Produktionsbeginn durch die jeweiligen Unternehmen. Die vorbereitenden Arbeiten werden nun also in etwas Greifbares umgewandelt – auf diese Weise wurden beispielsweise schon Wachkabinen, robuste Schiebebalken oder Zugangstore in Deutschland produziert.

Die GRS begleitet unter anderem die ukrainischen Partner bei der Werksabnahme der Sicherungsausrüstung – die nächste steht dieses Quartal an. Dabei wird geprüft, ob die vereinbarten Spezifikationen eingehalten wurden. Ferner werden auch Funktions- und Abnahmeprüfungen durchgeführt und teilweise Einweisungen in die Handhabung der Sicherungsausrüstung begleitet. Üblicherweise begleiten die Fachleute aus der Abteilung Sicherung der GRS die Montage und Inbetriebnahme im KKW und besuchen die jeweiligen Standorte. Dabei können die Kolleginnen und Kollegen ihre Expertise unterstützend einbringen und umgekehrt Erkenntnisse von den örtlichen Gegebenheiten mitnehmen.

In Kriegszeiten fällt diese Möglichkeit weg. Die Abnahmeprüfung erfolgt durch die ukrainischen Partner ohne GRS-Beteiligung. Hierbei wird die Ausrüstung auf Vollzähligkeit und Unversehrtheit überprüft und teilweise auch fotografisch dokumentiert. Anschließend erfolgt der Aufbau und die Implementierung in das vorhandene Sicherungssystem durch die ukrainischen Partner.

Deutsche Wachkabinen stehen mittlerweile in Riwne und Südukraine

Betrieb, Wartung und Pflege obliegt dann den Kolleginnen und Kollegen vor Ort, wobei: „Natürlich tauschen wir uns auch darüber aus, wie die Systeme funktionieren, was gut läuft und welche Schwierigkeiten es vielleicht gibt. Der Kontakt reißt ja nicht ab, die Zusammenarbeit ist schließlich langfristig ausgelegt“, so Projektleiter Theimer. „Deutsche Wachkabinen stehen mittlerweile an den KKW-Standorten Riwne und Südukraine; natürlich behalten wir auch die übergeordnete Lage im Blick, tauschen uns sehr häufig mit unseren Partnern aus und arbeiten gemeinsam daran, neuen Herausforderungen entschlossen zu begegnen.“

„Der Kontakt reißt ja nicht ab, die Zusammenarbeit ist schließlich langfristig ausgelegt.“

Dr. Stephan Theimer,

verantwortlicher Projektleiter bei der GRS

Der Umfang der Sicherungsmaßnahmen ist nicht starr und wird insbesondere aufgrund der sehr dynamischen Bedingungen vor Ort angepasst. Einzelne Projektebestandteile wie der Neubau eines Zugangskontrollpunktes konnten erfolgreich abschlossen werden. Auch ein neues biometriebasiertes, fälschungserschwerendes Zugangskontrollsystem wurde bereits in Betrieb genommen. Das Interesse an einer langfristigen Partnerschaft ist von allen Seiten hoch. Stephan Theimer: „Ich gehe fest davon aus, dass wir gemeinsam mit unseren ukrainischen Partnern in dieser schwierigen Zeit weiterhin an der Verbesserung der Sicherung der kerntechnischen Anlagen arbeiten werden – zumal wir die volle Unterstützung aus dem Auswärtigen Amt haben.“