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Blick in einen Reaktorkern

Accident Tolerant Fuel: sicherer Brennstoff für die Zukunft?

Bisherige Brennstoffkonzepte in Kernkraftwerken mit Leichtwasserreaktoren bestehen in der Regel aus Urandioxid als Brennstoff und Hüllrohren, die aus einer Zirconiumlegierung gefertigt sind. Als Accident Tolerant Fuel (ATF) bezeichnet man alternative Hüllrohr- und Brennstoffkonzepte, die im Vergleich zum bisherigen Standardsystem das Verhalten des Kerns unter Störfallbedingungen verbessern sollen, d. h. den Verlust der Kühlung im Kern für einen längeren Zeitraum tolerieren können. Erste ATF kamen testweise bereits in Kernkraftwerken zum Einsatz, beispielsweise in Belgien oder der Schweiz. Im Rahmen eines Forschungsprojekts sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der GRS den Fragen nachgegangen, welche Konzepte derzeit entwickelt werden, wie weit sie fortgeschritten sind und inwiefern sie den Verlauf realer Reaktorunfälle hätten abmildern können. Die Ergebnisse zeigen Potenziale, aber auch Herausforderungen, und liefern eine fundierte Grundlage für die weitere sicherheitstechnische Bewertung dieser neuen Technologien.

Die Sicherheit von Kernkraftwerken hängt unter anderem vom Verhalten des Brennstoffs und seiner Hüllrohre ab – insbesondere in Störfallsituationen. Seit dem Reaktorunfall von Fukushima im Jahr 2011 wird international verstärkt an sogenannten Accident Tolerant Fuels (ATF) geforscht. Das Brennstoff-Hüllrohr-System soll dabei so weiterentwickelt werden, dass es unter Störfallbedingungen länger intakt bleibt.

Vielzahl teils sehr unterschiedlicher Konzepte

Bei ATF handelt es sich nicht um ein einzelnes Produkt, sondern um einen Sammelbegriff für eine Vielzahl von Konzepten, die sich hinsichtlich der verwendeten Materialien, dem Design und ihrem Entwicklungsstand unterscheiden. So sind einige dieser Konzepte bereits weit fortgeschritten, andere befinden sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium.

„ATF ist kein Allheilmittel, aber ein Baustein, um die Robustheit des Reaktorkerns unter Störfallbedingungen zu erhöhen.“

Dr. Isabel Steudel,

Projektleiterin

Zu den ATF-Konzepten zählen unter anderem:

  • Chrombeschichtete Zirkonium-Hüllrohre: Ziel ist eine verbesserte Oxidationsbeständigkeit bei hohen Temperaturen; durch Ausbildung eines Eutektikums kann die Schmelztemperatur jedoch herabgesetzt werden.
  • FeCrAl-Hüllrohre: Diese Eisen-Chrom-Aluminium-Legierungen zeigen eine hohe Stabilität gegenüber Korrosion durch Wasserdampf; allerdings weisen sie z. B. Veränderungen des Neutronenspektrums auf, die Auswirkungen auf die Wirksamkeit von Steuerstäben haben können.
  • SiC/SiC-Komposit-Hüllrohre: Dieser keramische Verbundwerkstoff weist sehr hohe Temperaturbeständigkeit auf, aber auch eine geringe thermische Leitfähigkeit, die unter Bestrahlung weiter abnimmt.
  • Dotierter UO₂-Brennstoff: Durch gezielte Dotierung (z. B. mit Cr₂O₃) sollen Spaltgase besser zurückgehalten und mechanische Spannungen reduziert werden; diese Brennstoffe weisen aber auch eine höhere Diffusionsrate auf.
  • Uran-Nitrid und Uran-Silizid: Diese alternativen Brennstoffverbindungen bieten höhere Wärmeleitfähigkeit und Urandichte, sind aber chemisch reaktiver.

Sicherheitstechnische Untersuchungen zu ATF-Konzepten 

Im Auftrag des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der GRS ein Forschungsprojekt durchgeführt, das sich mit der sicherheitstechnischen Bewertung von ATF-Konzepten befasst. Dazu analysierten sie zunächst den internationalen Entwicklungsstand verschiedener ATF-Konzepte – sowohl auf Seiten der Brennstoffhersteller als auch in staatlich geförderten Forschungsprogrammen. 

Bild 1: Kernnodalisierung im GRS-Simulationscode ATHLET-CD

Im Anschluss bewerteten sie ausgewählte Konzepte hinsichtlich ihrer sicherheitsrelevanten Eigenschaften im Normalbetrieb sowie unter Stör- und Unfallbedingungen. 

Ergänzend dazu führten sie eigene Simulationsrechnungen für FeCrAl-Hüllrohre durch, um herauszufinden, welchen Einfluss der hypothetische Einsatz von ATF auf den Verlauf realer Reaktorunfälle – konkret: Three Mile Island (1979) und Fukushima Daiichi (2011) – gehabt hätte.

Mehr Zeit für Gegenmaßnahmen 

Die von der GRS durchgeführten Simulationen zeigen, dass FeCrAl-Hüllrohre unter den gewählten Annahmen zu einer deutlich geringeren Oxidation, einer reduzierten Wasserstoffbildung und einer besseren Erhaltung der Reaktorgeometrie führen können. Diese Eigenschaften können bei Störfällen insbesondere dazu beitragen, mehr Zeit für Gegenmaßnahmen zu gewinnen.

„Die Simulationen zeigen, dass ATF unter bestimmten Bedingungen die sogenannte Karenzzeit verlängern können – also die Zeit, in der noch eingegriffen werden kann, bevor es zu einer Kernschädigung und damit einem potenziellen Unfall kommen kann.“

Dr. Isabel Steudel,

Projektleiterin

Allerdings gilt: Die tatsächliche Wirksamkeit hängt stark vom jeweiligen Szenario, den Materialeigenschaften und der Reaktorkonfiguration ab. Zudem sind viele ATF-Konzepte noch nicht ausreichend erprobt, um eine belastbare sicherheitstechnische Bewertung zu ermöglichen. Und auch die Simulationscodes müssen hinsichtlich ATF-Spezifika weiterentwickelt werden. 

Technologischer Reifegrad: Zwischen Forschung und Anwendung

Ein zentrales Ergebnis des Projekts ist die Einordnung der verschiedenen ATF-Konzepte anhand des sogenannten Technology Readiness Level (TRL). Während dotierter UO₂-Brennstoff und chrombeschichtete Hüllrohre bereits in ersten kommerziellen Reaktoren getestet werden, befinden sich SiC/SiC-Hüllrohre oder Uran-Nitrid-Brennstoffe noch in der experimentellen Phase.

„Einige Konzepte sind technisch vielversprechend, aber noch weit von einer industriellen Umsetzung entfernt.“

Dr. Isabel Steudel,

Projektleiterin

Chancen, Herausforderungen und offene Fragen

Bild 2: Übersicht zu weltweiten Aktivitäten zur ATF-Entwicklung
© Nicolas Waeckel
Übersicht zu weltweiten Aktivitäten zur ATF-Entwicklung

Entwicklung von ATF ist ein dynamisches Feld mit internationaler Beteiligung. Hersteller wie Framatome, Westinghouse, GE Hitachi und TVEL treiben die Entwicklung voran, unterstützt durch staatliche Programme in den USA, Japan, Russland und der EU. 

Auch in Deutschland wird zu ATF geforscht – etwa am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) oder bei der GRS.

Dabei stellen sich auch verschiedene neue Fragen, z. B.:

  • Wie wirken sich ATF-Konzepte auf den Normalbetrieb und die Neutronenökonomie aus?
  • Welche Langzeitverhalten zeigen neue Materialien unter Bestrahlung?
  • Wie lassen sich ATF-Konzepte in bestehende Sicherheitsanalysen und Codes integrieren?
  • Welche regulatorischen Anforderungen müssen erfüllt werden?

Festzuhalten bleibt, dass ATF kein Ersatz für bestehende Sicherheitskonzepte sein, aber einen Beitrag zur Erhöhung der kerntechnischen Sicherheit leisten können. Hierzu sind jedoch weitere, differenzierte sicherheitstechnische Untersuchungen einschließlich experimenteller Forschung zu den einzelnen Konzepten unter Berücksichtigung ihres Entwicklungsstands erforderlich.