Kernkraftwerke und sonstige kerntechnische Anlagen in der Ukraine
15 Reaktorblöcke an 4 Standorten
Der größte Standort ist das KKW Saporischschja, der sich in etwa 250 Kilometern Entfernung südwestlich der von Separatisten kontrollierten Oblast Donezk befindet. Dort werden sechs Reaktoren des Typs WWER-1000 betrieben, die zwischen 1985 und 1996 ihren kommerziellen Betrieb aufgenommen haben. Jeder der Blöcke erzeugt im Volllastbetrieb eine Nettoleistung von 950 Megawatt (MW).
Rund 250 Kilometer weiter westlich liegt das KKW Süd-Ukraine. Die drei an diesem Standort betriebenen Reaktorblöcke stammen auch aus der WWER-1000-Baureihe und weisen ebenfalls eine Nettoleistung von 950 MW auf. Sie wurden 1983, 1985 und 1989 in den Leistungsbetrieb genommen.
Etwa 65 Kilometer südlich der Grenze zu Belarus befindet sich das KKW Riwne. Dort speisen ebenfalls zwei WWER-1000 Strom in das ukrainische Landesnetz ein, darunter mit Riwne-4 seit 2006 der jüngste ukrainische Reaktorblock. Der Reaktorblock Riwne-3 hat seinen kommerziellen Betrieb 1987 aufgenommen. Seit 1981 bzw. 1982 produzieren außerdem zwei Reaktoren vom Typ WWER-440 eine Nettoleistung von je ca. 380 MW.
In rund 150 Kilometern Entfernung zur belarussischen Grenze liegt das KKW Chmelnyzkyj, an dem seit 1988 bzw. 2004 zwei Reaktoren der WWER-1000-Baureihe im Leistungsbetrieb sind.
Stillgelegtes Kernkraftwerk Tschernobyl
Unmittelbar an Belarus angrenzend befindet sich das Gelände des früheren KKW Tschernobyl. Neben dem Block 4, der bei dem katastrophalen Unfall 1986 zerstört wurde und seit einigen Jahren unter einer neuen Schutzhülle eingeschlossen ist (weitere Informationen zum Unfall und dem New Safe Confinement), befinden sich dort auch die zwischen 1991 und 2000 stillgelegten Blöcke 1 bis 3. Darüber hinaus werden auf dem Gelände ein Nass- und Trockenlager für bestrahlte Brennelemente aus dem Betrieb des KKW Tschernobyl sowie Lager- und Verarbeitungseinrichtungen für flüssige und feste radioaktive Abfälle betrieben.
Forschungseinrichtungen und Abfalllager
Die Ukraine betreibt seit 1960 einen nuklearen Forschungsreaktor in Kiew (WWR-M) mit einer thermischen Leistung von 10 MW.
In Charkiw befindet sich eine unterkritische nukleare Neutronenquelle. Es handelt sich dabei um eine Versuchsanlage zur Erzeugung von Neutronen, die mit einem Elektronenbeschleuniger kombiniert ist. Unterkritisch bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Anzahl und Anordnung der Brennelemente der nuklearen Versuchsanlage so gewählt wurde, dass es ohne Funktion des Elektronenbeschleunigers nicht zu einer sich selbst erhaltenden Kettenreaktion kommen kann. Das Risikopotenzial unterkritischer Anlagen ist im Vergleich zu Leistungsreaktoren erheblich geringer.
In derartigen Versuchsanlagen entstehen wesentlich geringere Mengen an Spaltprodukten, als es bei einem Leistungsreaktor der Fall ist. So ist beispielsweise das Aktivitätsinventar (d. h. Mengen und Arten der radioaktiven Stoffe) der unterkritischen Anlage in Charkiw im Vergleich zu großen Leistungsreaktoren zur kommerziellen Stromerzeugung um mehrere Zehnerpotenzen geringer.
Obwohl die Neutronenquelle am 06.03. unter erheblichen Beschuss geriet, sind nach Angaben der IAEA dadurch keine radiologischen Folgen aufgetreten und die Schäden führten auch nicht zum Verlust grundlegender Sicherheitsfunktionen, die für den Einschluss radioaktiver Stoffe notwendig seien. Dennoch müssten die die Auswirkung auf den physischen Schutz der Anlage erneut bewertet werden, sobald die Bedingungen vor Ort es erlauben. Dies hielt die IAEA in ihrem zusammenfassenden Bericht fest, den sie im Nachgang an ihre Ukraine-Expertenmission am 28.04. veröffentlicht hatte.
Die beiden kerntechnischen Anlagen in Kiew und Charkiw werden für Forschungszwecke (kern- und materialtechnischen Untersuchungen) und zur Isotopenproduktion für Medizin, Forschung und Technik genutzt.
Darüber hinaus werden in den ukrainischen Großstädten Kiew, Charkiw, Dnipro, Donezk, Lwiw und Odessa sogenannte Radon-Lager betrieben. In diesen Lagern werden schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus Medizin, Forschung und Industrie zwischengelagert.
Kernkraft deckt mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs
Die ukrainischen KKW decken nach Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) mit einer jährlich erzeugten Strommenge von ca. 75 Terawattstunden (TWh) gegenwärtig deutlich über die Hälfte des dortigen Stromverbrauchs (ca. 135 TWh in 2019). Bei der Versorgung der Anlagen mit Kernbrennstoff kann die Ukraine bislang nur bei einem Teil ihrer Reaktorblöcke auf Brennelemente eines westlichen Herstellers zurückgreifen.
Zum Zeitpunkt des russischen Überfalls befand sich die Ukraine im Hinblick auf ihre Stromversorgung in einem sogenannten „Inselbetrieb“, d. h., sie war mit ihrem Landesnetz nicht mit jenen ihrer Nachbarländer verbunden. Dadurch entfielen beispielsweise Stromimporte aus Belarus in einem Umfang von ca. 800 bis 900 MWh. Am 16.03.2022 wurde das ukrainische Netz an das europäische Verbundnetz angeschlossen. Dadurch sind länderübergreifende Stromimporte- und -exporte wieder möglich und Netzschwankungen oder -ausfälle können leichter ausgeglichen werden.
(Stand: 29.04.2022)