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Beginn der Überflutung des Anlagengeländes, aufgenommen von einer Überwachungskamera

10 Jahre Fukushima Teil 1: Unfallablauf - Wegmarken einer Katastrophe

Der Reaktorunfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi jährt sich dieses Jahres zum zehnten Mal. Unsere Reihe „10 Jahre Fukushima“ lässt den Unfall und seine Auswirkungen in den nächsten Wochen Revue passieren. Den Auftakt bildet ein Überblick über die ersten 10 Tage des Unfalls – begonnen mit dem Erdbeben und dem Tsunami über die vergeblichen Versuche, die Kernschmelzen in mehreren Reaktoren zu verhindern, bis hin zur vorläufigen Stabilisierung der Lage.

11. März 2011

Der Ausgangspunkt. Am 11. März 2011 bebt in Japan östlich der Insel Honshū gegen 14:47 Uhr die Erde. Seismologen messen eine Stärke von 9,0. Das Epizentrum des Tohoku-Bebens liegt 163 Kilometer entfernt vom Kernkraftwerk Fukushima.

Die unmittelbar am Meer gelegenen Reaktorblöcke 1, 2 und 3 sind zum Zeitpunkt des Erdbebens in Betrieb. Die drei Meter höher gelegenen Blöcke 5 und 6 sind wegen Wartungsarbeiten und Brennelementwechsel abgeschaltet. Die Brennelemente des 4. Blocks sind aus demselben Grund aus dem Reaktor entladen worden und befinden sich im Abklingbecken.

Das Erdbeben. Die noch laufenden Blöcke 1, 2 und 3 schalten sich infolge der Erschütterungen des Erdbebens gemäß der Auslegung der Anlagen automatisch ab. Da die Versorgung über das externe Stromnetz wegen Erdbebenschäden an den Übertragungsleitungen ausgefallen ist, laufen 12 von insgesamt 13 Notstromdieseln an. Alle sechs Reaktoren schalten auf ihre Not- und Nachkühlsysteme um.

Der Tsunami. Gegen 15:30 Uhr Ortszeit kommen Tsunamiwellen von bis zu 15 Metern am Kernkraftwerk Fukushima an. Die Reaktorblöcke 1 bis 4 werden von fast fünf Meter hohen Wellen getroffen; die höher gelegenen Blöcke 5 und 6 liegen geschützter und werden deswegen nur rund einen Meter hoch überschwemmt.

Ausfall der Stromversorgung. Das Meerwasser läuft bis in die Gebäude und beschädigt die laufenden Notstromaggregate sowie die meisten Stromverteilerschränke. Einzig ein Notstromdiesel in Block 6 ist noch intakt. Die Überflutung führt auch dazu, dass die an der Küste gelegenen Meerwasserpumpen ausfallen. Die Nachwärme aus den Reaktorkernen der Blöcke 1 bis 3 kann jetzt nicht mehr an das Meerwasser abgegeben werden. Rund 15 Minuten nach Eintreffen des Tsunami meldet der Betreiber des Kernkraftwerks Fukushima den nuklearen Notfall. Ein Team von rund 400 TEPCO-Mitarbeitern nimmt seine Arbeit auf. Keine Stunde später meldet TEPCO der japanischen Aufsichtsbehörde den Ausfall der Kühlung in Block 1.

Kernschmelze in Block 1. Der Reaktorkern mit den Brennelementen ist seit dem Tsunami nicht mehr mit Kühlwasser bespeist worden. Ab etwa 18 Uhr liegt die Oberkante der Brennelemente frei. Gegen 19:45 Uhr ist der Füllstand bis unterhalb des Kerns gesunken. Zu diesem Zeitpunkt hat bereits die Kernzerstörung begonnen. In der Folge wird sich der Reaktorkern auf über 2.000 Grad Celsius erhitzen und fast vollständig schmelzen.

Nuklearer Notstand und Evakuierung. Noch am selben Abend ruft die japanische Regierung gegen 19 Uhr den nuklearen Notstand aus. Kurz darauf wird die Bevölkerung in einem Radius von zwei Kilometern um den Unfallsort evakuiert. Die Evakuierung ist erforderlich, weil TEPCO ein sogenanntes Venting plant. Das Venting soll verhindern, dass der Sicherheitsbehälter um den Reaktor in Block 1 durch den steigenden Innendruck beschädigt und damit undicht wird. Da die Anlagen über keine entsprechenden Filter verfügt, ist mit dieser Druckentlastung eine Freisetzung radioaktiver Stoffe verbunden.

Bereits einen Tag später wird der Radius auf 20 Kilometern ausgeweitet. Bis zum 13. März werden zunächst 62.000 Menschen evakuiert. Bis Ende August werden laut japanischer Regierung insgesamt rund 146.500 Personen evakuiert, wovon etwa 78.000 aus der 20 km-Zone stammen.

12. März 2011

Radioaktive Freisetzungen. In den frühen Morgenstunden des 12. März kommt es zu einem Druckabfall im Sicherheitsbehälter des Blocks 1, nachdem im Laufe der Nacht der Druck den zulässigen Höchstwert überschritten hatte. Kurz darauf zeigen Messungen auf dem Anlagengelände Strahlungswerte in Höhe des 10 bis 15-fachen des Normalwertes an. Bereits am Vorabend wurde auf dem Anlagengelände auch schon vor dem Venting ein deutlicher Anstieg der Radioaktivität festgestellt. Ab etwa 23 Uhr wurde deshalb bereits der Zutritt zum Reaktorgebäude von Block 1 untersagt.

Kühlungsversuche und Explosionen in Block 1. Ab dem 12. März wird der Reaktor von Block 1 über Pumpen von Feuerwehrfahrzeugen von außen gekühlt. Gegen 15:30 Uhr erschüttert eine Knallgasexplosion Block 1. Dabei entzündet sich im oberen Gebäudeteil außerhalb des Sicherheitsbehälters Wasserstoff, der bei der Kernschmelze entstanden ist. Vier Personen werden als verletzt gemeldet. Die Explosion reißt auch ein Panel an der Außenwand von Block 2 ab, weshalb sich in diesem Block kein Wasserstoff für eine Explosion ansammeln kann.

13. März 2011

Explosion in Block 3. Auch in Block 3 sinkt der Füllstand des Kühlwassers im Reaktor stetig weiter ab. Am 13. März fällt ab etwa 5 Uhr die Kühlung vollständig aus. Ab 9:30 Uhr wird der Reaktordruckbehälter deshalb über Feuerlöschleitungen mit Wasser aus einer Zisterne gekühlt. Nachdem die Zisterne leer ist, wird ab circa 13 Uhr mit Meerwasser gekühlt. Am 14. März zerstört gegen 11 Uhr eine weitere Explosion den oberen Bereich des Reaktorgebäudes von Block 3. Sieben Verletzte werden gezählt. Da durch die Explosion auch Feuerlöschpumpen und Schläuche beschädigt werden, kann die Kühlung über Meerwasser erst ab etwa 15:30 Uhr fortgesetzt werden.

14. bis 17. März 2011

Kernschmelze in Block 2 und Explosion in Block 4. Am 14. März liegt ab etwa 18 Uhr auch der Kern von Block 2 vollständig frei und beginnt zu schmelzen. Am darauffolgenden Tag zerstört gegen 6:15 Uhr eine weitere Explosion in Block 4 den oberen Bereich des Gebäudes. Der für die Explosion verantwortliche Wasserstoff entsteht in Block 3 und gelangt durch das gemeinsame Abluftsystem in das Reaktorgebäude. Kurz nach der Explosion wird am Anlagenzaun eine Dosisleistung von 12 Millisievert (mSv) pro Stunde gemessen – das entspricht dem über 100.000-fachen des gesetzlichen Grenzwerts von 1 Millisievert pro Jahr. TEPCO entschließt sich daraufhin, einen Großteil der Mitarbeiter am Standort zu evakuieren.

Kühlung der Brennelemente. Das Abklingbecken von Block 4 ist mit rund 1.500 Brennelementen gefüllt. Etwa 200 waren erst kurz vor dem Unfall aus dem Reaktor in das Becken verbracht worden und haben eine vergleichsweise hohe Nachzerfallswärme. Zusammen mit der ausgefallenen Kühlung sorgen sie dafür, dass sich das Wasser im Becken schnell aufheizt. Es wächst die Befürchtung, dass das Becken austrocknen, die gelagerten Brennelementen in der Folge beschädigt werden und dabei große Mengen radioaktiver Stoffe in die Umwelt gelangen könnten. Ab dem 17. März wird deshalb versucht, das Brennelementlagerbecken von außen mit Wasser zu speisen. Der Versuch, Wasser aus Hubschraubern abzuwerfen, wird wegen zu hoher Strahlung abgebrochen. Am Abend beginnt die Kühlung mittels Wasserwerfern. Auch das Abklingbecken von Block 3 wird provisorisch über Wasserwerfer gekühlt.

18. März 2011

INES-Einstufung. Am 18. März werden die Blöcke 1, 2 und 3 wegen der schweren Kernschäden auf der fünften Stufe der International Nuclear and Radiological Event Scale (INES) als „ernster Unfall“ höhergestuft. Am 12. März war der Unfall zunächst auf Stufe 3 als „ernster Störfall“ eingeordnet worden. Erst am 12. April 2011 kommt es wegen der Gesamtmenge der freigesetzten Aktivität zu der endgültigen Einstufung auf INES 7. Der Unfall gilt damit - wie die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl - als „katastrophaler Unfall“.

20. März 2011

Aufbau der Stromversorgung. Ab dem 20. März kann die externe Notstromversorgung in den Blöcken 5 und 6 wiederhergestellt und zu einem stabilen Betriebszustand zurückgekehrt werden. Bis dahin hatte der einzige verbleibende Notstromdiesel aus Block 6 beide Blöcke versorgt. TEPCO kann auch die beiden Blöcke 1 und 2 wieder an das Stromnetz anschließen. Einen Tag später folgen die Blöcke 3 und 4. Allerdings sind viele Systeme defekt oder stehen unter Wasser.  

Rückblick 2011 bis 2021. Die Folgen des Unfalls im Kernkraftwerk Fukushima sind bis zum heutigen Tag sichtbar. Täglich arbeiten dort rund 4.000 Menschen beispielsweise daran, den Rückbau der zerstörten Reaktoren vorzubereiten und die Freisetzung von radioaktiven Stoffen weiter zu begrenzen.

Der nächste Beitrag dieser Reihe wird sich damit beschäftigen, welche radiologischen Konsequenzen der Unfall mit sich brachte. Weitere Themen werden der Umgang mit dem kontaminierten Wasser, der Rückbau der Anlagen sowie die Lessons Learned aus den Geschehnissen in Fukushima sein.