
Trotz Atomausstieg: Deutschland benötigt weiterhin Kompetenzen zur kerntechnischen Sicherheit
Der Kompetenzverbund Kerntechnik (KVKT), ein Zusammenschluss deutscher Forschungseinrichtungen im Bereich der kerntechnischen Sicherheit, hat heute ein White Paper veröffentlicht, in dem er eine gezielte und nachhaltige Förderung von Forschung und Ausbildung im Bereich der Reaktorsicherheit anmahnt und entsprechende Handlungsbedarfe und Empfehlungen formuliert.
Deutschland bleibt von internationalen Entwicklungen der Kernenergie betroffen
Ausgangspunkt der Analyse des KVKT ist der gegenwärtige bzw. absehbare Ausbau der Kernenergie in zahlreichen Staaten der Welt und insbesondere im benachbarten europäischen Ausland. Mit Blick auf einen stetig steigenden Energiebedarf und in dem Bestreben nach größerer Versorgungssicherheit und einer möglichst weitgehenden Unabhängigkeit von Importen fossiler Energieträger planen Länder wie Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden und Tschechien den Bau neuer Reaktoren oder – wie etwa auch Belgien und Finnland – Laufzeitverlängerungen für bestehende Anlagen. Dabei sollen vielfach nicht nur herkömmliche Kernkraftwerke, sondern auch sogenannte Small Modular Reactors (kurz: SMR) zum Einsatz kommen, perspektivisch ist auch mit dem Bau großer Kernkraftwerke neuerer Generationen (sog. Generation III+/IV) zu rechnen.
Nach Ansicht des KVKT ist es vor diesem Hintergrund für Deutschland essenziell, eigene wissenschaftliche Kompetenzen zu erhalten und weiterzuentwickeln, um die Sicherheit insbesondere grenznaher Anlagen unabhängig und verlässlich bewerten, einen wirksamen Notfallschutz gewährleisten und auf internationaler Ebene effektiv Einfluss auf die Weiterentwicklung sicherheitsrelevanter Regelwerke nehmen zu können. Dass in einigen der genannten Länder Genehmigungsverfahren beschleunigt werden sollen, erhöhe den Bedarf an fundierter Expertise.
Darüber hinaus werden auch im Hinblick auf die in Deutschland noch in Betrieb befindlichen kerntechnischen Anlagen (Forschungsreaktoren, Urananreicherung, Brennelementfertigung), den Rückbau der stillgelegten Kernkraftwerke, die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle und die erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten langfristig Fachleute mit fundierter Expertise in der nuklearen Sicherheit benötigt.
Nachhaltige Förderung von Forschung und Ausbildung erforderlich
Die Deckung des Bedarfs an wissenschaftlicher Expertise und qualifiziertem Personal wird aus Sicht des KVKT jedoch durch verschiedene Umstände erschwert: Einerseits fehlen derzeit noch durch Experimente validierte Simulationswerkzeuge, die für valide Sicherheitsbewertungen neuer Reaktortypen wie beispielsweise SMR unverzichtbar sind, andererseits haben sich die Rahmenbedingungen für die Ausbildung des fachlichen Nachwuchses seit Jahren konstant verschlechtert.
Damit sicherheitsrelevante Aufgaben im Bereich der Kerntechnik auch weiterhin erfüllt werden können, müssen deshalb nach Ansicht des KVKT drei zentrale Säulen gestärkt werden: Hochschulen, die qualifizierten Nachwuchs ausbilden, Großforschungseinrichtungen mit experimenteller Infrastruktur, sowie Industrie, Behörden und Sachverständigenorganisationen, die ihre Expertise in Praxis und internationalen Gremien einbringen.
Erforderlich seien deshalb unter anderem eine Erhöhung und nachhaltige Sicherung der Mittel für die nationale Reaktorsicherheitsforschung sowie die Nachbesetzung von Professuren in der Reaktorsicherheit und die Finanzierung von Postdoc-Stellen. Nur so ließen sich experimentelle Einrichtungen erhalten, internationale Regelwerke mitgestalten und nationale Rechenmodelle für neue Reaktorkonzepte weiterentwickeln. Ohne diese Maßnahmen droht nach Auffassung der Expertinnen und Experten des KVKT ein weiterer und perspektivisch unwiederbringlicher Verlust von Fachgebieten und Kompetenzen, die für die Bewertung neuer Technologien und die Gewährleistung hoher Sicherheitsstandards unverzichtbar sind.
Über den KVKT
Der im Jahr 2000 gegründete Kompetenzverbund Kerntechnik (KVKT) ist ein Zusammenschluss deutscher Forschungseinrichtungen im Bereich der Kerntechnik und der nuklearen Entsorgung. In den späten 1990er Jahren vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie initiiert, ist es übergeordnetes Ziel des Verbundes, in den genannten Bereichen sicherheitsrelevante Kompetenzen zu bündeln, weiterzuentwickeln und in nationale wie internationale Prozesse einzubringen. Im KVKT sind aktuell vertreten: das Forschungszentrum Jülich, die Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit gGmbH, das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, das Karlsruher Institut für Technologie, die Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart, die Ruhr-Universität Bochum, Technische Universität Dresden, Technische Hochschule Mannheim und die Universität Stuttgart.