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Computerprogrammierer arbeitet an neuem Softwareprogramm

Der Sicherheit auf der Spur: Simulation von Stör- und Unfällen in Kernkraftwerken

GRS veröffentlicht neue Version ihres Programmpaketes AC²

Die GRS bietet ab sofort eine erweiterte und überarbeitete Version ihres Programmpaketes AC2 an, das weltweit von Aufsichtsbehörden, Gutachterorganisationen und Hochschulen sowie Forschungszentren zur Überprüfung der Sicherheit von Kernkraftwerken und sonstigen kerntechnischen Anlagen genutzt wird. In der aktualisierten Version lassen sich unter anderem technische Besonderheiten sogenannter SMRs (Small Modular Reactors) besser simulieren.

Nutzen von Simulationsprogrammen in der Reaktorsicherheit

Simulationsprogramme sind ein unverzichtbares Werkzeug für die Bewertung der Sicherheit von Kernkraftwerken und anderen kerntechnischen Anlagen. Mithilfe der Programme wird unter anderem überprüft, ob die sogenannten kerntechnischen Schutzziele – also die Kontrolle der Reaktivität, die Kühlung der Brennelemente und der Einschluss radioaktiver Stoffe – bei allen relevanten Ereignissen eingehalten werden.

Die GRS setzt seit Jahrzehnten hierzu zahlreiche Simulationsprogramme ein. Mithilfe der Programme lässt sich das gesamte anzunehmende Ereignisspektrum (betriebliche Abläufe sowie Stör- und Unfälle) in kerntechnischen Anlagen simulieren – angefangen bei den neutronenphysikalischen Vorgängen in einem einzelnen Brennstab, über Strömung und den Wärmeübergang im Reaktor, bis hin zur Stabilität und Integrität von Sicherheitsbehälter und Gebäudestrukturen bei Unfällen oder äußeren Einwirkungen, wie zum Beispiel einem starken Erdbeben.

Wesentliche Programme aus dieser sogenannten Rechenkette entwickelt die GRS im Rahmen der Reaktorsicherheitsforschung selbst und stellt sie wissenschaftlichen Einrichtungen, Behörden und Gutachterorganisationen kostenfrei zur Verfügung. Aufsichtsbehörden und deren Gutachter nutzen die GRS-Rechenkette unter anderem zur Prüfung von Nachweisen, die seitens der Betreiber im Rahmen kerntechnischer Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren vorgelegt werden. Des Weiteren werden die Programme genutzt, um Unfallabläufe wie die in Fukushima zu rekonstruieren und besser zu verstehen. Auf Basis dieser Rechnungen lassen sich dann die Bergung des Kernbrennstoffs und der Rückbau planen.

Der Allrounder – das steckt hinter dem Programmpaket AC²

Namensgeber und gleichzeitig Hauptbestandteile von AC² sind die drei von der GRS in Kooperation mit nationalen sowie internationalen Partnern entwickelten Simulationsprogramme ATHLET, ATHLET-CD und COCOSYS. Diese sind in AC² miteinander gekoppelt und ermöglichen so die ganzheitliche Simulation des thermohydraulischen Verhaltens im Kühlkreislauf und im Sicherheitsbehälter während des Betriebs, bei Störungen sowie bei Stör- und Unfällen in kerntechnischen Anlagen.

Mit ATHLET lassen sich die Reaktionen der Anlage auf unterschiedliche Ereignisse (Lecks, Ausfall oder Fehlfunktionen verschiedener Systeme) in Kernkraftwerken sowie Forschungsreaktoren analysieren. Die Erweiterung ATHLET-CD ermöglicht die Berechnung der Zerstörung von Brennelementen während eines Unfalls und die Freisetzung von Radioaktivität in der Anlage. Hiermit lässt sich beispielsweise die Bildung und Verlagerung von Schmelzen im Kernbereich sowie in darunter liegenden Bereichen des Reaktorgebäudes modellieren und berechnen. Mit COCOSYS können die Vorgänge im Sicherheitsbehälter bei Betrieb und Störungen sowie bei Stör- und Unfällen mit Freisetzung radioaktiver Stoffe simuliert werden. Ein weiterer Bestandteil von AC² ist das Visualisierungswerkzeug ATLAS. Derzeit nutzen rund 50 wissenschaftliche Organisationen und Aufsichtsbehörden weltweit AC² für Forschung und Sicherheitsbewertung.

„Die Weiterentwicklung von AC² ist ein fortlaufender Prozess. Wenn wir in der Kerntechnik ein Phänomen betrachten, möchten wir nachweisen, dass auch der Code das rechnen kann – oder eben herausfinden, warum er es nicht kann. So wird AC² immer ein bisschen genauer und damit für die Nutzerinnen und Nutzer besser.“

Dr. Fabian Weyermann, AC²-Entwickler,

Das kann die neue AC²-Version 

Für die neue Version von AC² wurden Verbesserungen und Erweiterungen an den einzelnen Bestandteilen vorgenommen. 

Die neue Version von ATHLET ermöglicht unter anderem eine genauere Simulation der Wärmeübertragung in passiven Wärmeabfuhrsystemen. Diese Systeme übernehmen in modernen Reaktoren bzw. Reaktorkonzepten zunehmend die Aufgaben der klassischerweise meist mit Pumpen betriebenen aktiven Sicherheitssysteme. Der wesentliche Vorteil dabei ist, dass diese passiven Systeme allein aufgrund der Naturgesetze, also zum Beispiel Gravitation, freie Konvektion oder Verdampfung und Kondensation, funktionieren, und nicht auf eine eigene Energieversorgung (z. B. Strom) angewiesen sind, die – wie in Fukushima Daiichi – ausfallen kann. Während der in Frankreich, Großbritannien und Finnland in Bau befindliche Europäische Druckwasserreaktor (EPR) sowohl aktive als auch passive Systeme vorsieht, sollen bei dem in China betriebenen AP1000 Störfälle allein mit passiven Systemen beherrscht werden können. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die derzeit häufig diskutierten SMR-Konzepte, wie das zu NuScale (USA) und NUWARD (Frankreich). Die aktuellen Verbesserungen in ATHLET erlauben auch die Simulation von SMR-Konzepten mit anderen Kühlmedien (Gas, Salzschmelze bzw. Flüssigmetalle) sowie dem Blei-Bismut-gekühlten beschleuniger-getriebenen System MYRRHA, das derzeit in Belgien geplant wird.

Mit der Überarbeitung von ATHLET-CD haben Anwenderinnen und Anwender die Möglichkeit, den Reaktorkern noch flexibler zu modellieren und so lokale Effekte bei der Kernzerstörung besser abzubilden. Dies ermöglicht es zudem, mit der neuen Programmversion Unfälle mit Zerstörung der Brennelemente im Brennelementlagerbecken angemessen zu simulieren. Schließlich kann mit dem AIDA-Modul die Rückhaltung eines geschmolzenen Kerns im Reaktordruckbehälter durch Kühlung des Reaktordruckbehälters von außen, eine wichtige Notfallmaßnahme vieler Reaktorkonzepte zur Minimierung radioaktiver Freisetzungen, genauer bewertet werden.

Die aktualisierte Version von COCOSYS enthält unter anderem ein neues generisches Core-Catcher-Modell. Core-Catcher werden in manchen Reaktoren ab der Generation 3, wie dem EPR oder dem WWER-1200, vorgesehen, um bei einem Unfall mit Kernschmelze diese innerhalb des Containments aufzufangen und abzukühlen und so die Freisetzung von Radioaktivität zu minimieren. COCOSYS berücksichtigt alle in diesem Prozess relevanten Phänomene, wie die Wechselwirkung zwischen der Schmelze und anderen Materialien oder auch die Schichtung der Schmelze. Darüber hinaus enthält das Programm das neu entwickelte Modul NewAFP (New Aerosol and Fission Products) für eine realistischere Simulation von Aerosolen und Spaltprodukten und deren Verhalten im Sicherheitsbehälter und im Reaktorgebäude.

Die erweiterte und überarbeitete Version des Programmpaketes AC² stellt die GRS ab sofort Aufsichtsbehörden, Gutachterorganisationen, Hochschulen und Forschungszentren kostenfrei zur Verfügung.