Fukushima – Fünf Jahre nach dem Reaktorunfall

Am 11. März 2016 jährt sich der Reaktorunfall in Fukushima zum fünften Mal. Ein schweres Erdbeben vor der Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshu und der dadurch ausgelöste Tsunami verwüsteten 2011 weite Gebiete im Osten Japans und forderten mehr als 20.000 Menschenleben. Am Kernkraftwerksstandort Fukushima Daiichi verursachten das Beben und der Tsunami den fast vollständigen Ausfall der Stromversorgung in nahezu allen der insgesamt sechs Reaktorblöcke. In der Folge kam es zum schwersten Reaktorunfall nach Tschernobyl. Die Höhe der Freisetzungen radioaktiver Stoffe führte dazu, dass der Unfall auf der höchsten Stufe der International Nuclear and Radiological Event Scale (INES 7) eingeordnet wurde.

GRS veröffentlicht neuen Fukushima-Bericht

Anlässlich des Jahrestages der Reaktorkatastrophe veröffentlicht die GRS die fünfte, vollständig aktualisierte Auflage ihres Fukushima-Berichts. Dieser enthält einen Überblick über den bis Anfang 2016 erreichten Kenntnisstand zu den Ursachen, dem Ablauf und den Folgen des Unfalls. Die Änderungen gegenüber der Vorauflage beziehen sich, wie bei der vierten Auflage, wieder in erster Linie auf die Einbeziehung neuerer Erkenntnisse zu den radiologischen Folgen (> Kap. 5 ) – hier vor allem auf den Stand der Untersuchungen zu gesundheitlichen Folgewirkungen – sowie auf die Maßnahmen zur Bewältigung der Unfallfolgen am Standort (> Kap. 6 ), wie beispielsweise die Behandlung und Lagerung kontaminierter Wässer und die noch andauernden Untersuchungen an den beschädigten Reaktoren.

Radiologische Situation und aktuelle Arbeiten am Kernkraftwerk Fukushima: ein Überblick

Dieser Webbeitrag gibt einen Überblick über die derzeit auf dem Anlagengelände stattfindenden Arbeiten, die radiologische Situation am Standort und darüber, wie die gesundheitlichen Folgen des Reaktorunfalls heute eingeschätzt werden. Für weiterführende Informationen wird in den Textabschnitten jeweils auf das entsprechende Kapitel im oben genannten Bericht verwiesen.

Aktuelle Arbeiten

Während in den ersten Monaten nach dem Unfall die unmittelbare Bewältigung der Unfallfolgen im Vordergrund stand, zielen die Maßnahmen heute schwerpunktmäßig darauf ab, die Freisetzung radioaktiver Stoffe vom Anlagengelände zu verhindern bzw. zu reduzieren. Einen weiteren großen Teil der Arbeiten stellen die vorbereitenden Maßnahmen zur Stilllegung und zum Rückbau der Reaktorblöcke dar.

Täglich fallen auf dem Anlagengelände des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi mehrere hundert Kubikmeter radioaktiv kontaminierten Wassers an. Dieses Wasser wird auf dem Anlagengelände aufbereitet  und größtenteils in Tanks gelagert. Am 21. Januar 2016 betrug die Gesamtmenge des auf dem Anlagengelände gelagerten Wassers rund 782.000 m³.

Diese Gesamtmenge setzt sich zum einen aus dem Wasser zusammen, das aus den Untergeschossen der Reaktorgebäude und der Maschinenhäuser abgepumpt wird. Es besteht unter anderem aus dem Kühlwasser, mit dem die Reaktoren 1-3 nach wie vor bespeist werden. Derzeit werden täglich etwa noch 300 m³ Wasser in die drei Reaktoren eingepumpt (jeweils ca. 100 m³). Dieses Kühlwasser nimmt auf seinem Weg durch den Reaktor radioaktive Stoffe auf und gelangt in die Untergeschosse. Dort mischt es sich mit eintretendem Grundwasser. Aus den Untergeschossen wird es abgepumpt und nach einer Aufbereitung zum Teil erneut als Kühlwasser genutzt. Für die Kühlung nicht benötigtes, überschüssiges Wasser muss auf dem Anlagengelände in Tanks gelagert werden.

Das kontaminierte Wasser durchläuft eine mehrstufige Wasseraufbereitung, unter anderem bestehend aus Anlagen zur Entsalzung und zur Filterung von Radionukliden (Filterung von Strontium und Cäsium unter anderem durch Anlagen SARRY und KURION; Multinuklidfilteranlage ALPS).

Mit Hilfe der Anlagen kann beispielsweise bis zu 99 Prozent des im Wasser enthaltenen Cäsiums herausgefiltert werden. Die Konzentration von Strontium kann auf ein Hundertstel bis ein Tausendstel des Ausgangswertes reduziert werden. Trotzdem muss das Wasser bislang auf dem Anlagegelände gelagert werden, da keine Möglichkeit zur Abtrennung des ebenfalls darin enthaltenen Radionuklids Tritium besteht. Das Wasserstoffisotop Tritium verhält sich chemisch wie Wasserstoff und lässt sich nicht mit den üblichen Reinigungsmethoden filtern. In einem vom japanischen Wirtschaftsministerium METI geförderten Forschungsvorhaben sollen erste Demonstrationsanlagen zur Abtrennung des Nuklids entwickelt werden.

Um die Gesamtmenge an anfallendem kontaminiertem Wasser zu vermindern, wurden auf dem Anlagengelände zahlreiche bauliche Maßnahmen umgesetzt.    

So wird über den sogenannten “Groundwater Bypass“ bergseitig Grundwasser abgepumpt, bevor es das Anlagengelände erreichen kann. Mittlerweile ist es TEPCO behördlich erlaubt, das hier abgepumpte Wasser, nachdem es freigemessen wurde, ins Meer zu verklappen. Zusätzlich wird auf dem Anlagengelände über Brunnen (Subdrains bzw. Groundwater drains) Grundwasser abgepumpt. Damit soll zum einen verhindert werden, dass das Wasser in die Gebäude gelangt, dort kontaminiert wird und gereinigt werden muss und zum anderen, dass radioaktive Stoffe mit dem Grundwasser ins Meer gelangen.

Zudem sollen diverse Strömungsbarrieren  vermeiden, dass kontaminiertes Wasser ins Meer gelangt. Hierzu zählt unter anderem das Grundwasserabsperr-Bauwerk (Seaside Impermeable Wall), das als wasserundurchlässige Barriere den Bereich der Kühlwassereinlaufbauwerke und des Kühlwasserauslaufs zum Meer hin abschließt. Den Erfolg der 2015 umgesetzten Maßnahme bemisst TEPCO unter anderem daran, dass sich die Konzentration radioaktiver Stoffe im Hafenbereich seitdem reduziert hat.
Die baulich größte Maßnahme zur Vermeidung der Entstehung und Freisetzung von kontaminiertem Wasser ist der sogenannte „Eiswall“ (Landside Impermeable Wall). Er soll auf einer Gesamtlänge von 1.500 Metern das Erdreich um die Blöcke 1-4 bis auf eine Tiefe von ca. 30 Metern vereisen und so eine wasserundurchlässige Barriere schaffen, um die das Grundwasser herumfließen muss. Der Eiswall wurde laut TEPCO im Januar 2016 fertiggestellt und darf Medienberichten zufolge auf dem Teilabschnitt, der zur Meerseite hin liegt, in Betrieb genommen werden.

Zustand der Reaktoren

Auch fünf Jahre nach dem Unfall ist der Kenntnisstand über den tatsächlichen Zustand der  betroffenen Anlagen in vielen Bereichen noch lückenhaft. Dies betrifft insbesondere auch die Situation innerhalb der Reaktordruckbehälter  (RDB) und Sicherheitsbehälter. Welchen Umfang die Kernschäden und die Schäden an den RDB tatsächlich haben wird derzeit aus indirekten Beobachtungen sowie auf der Grundlage von Berechnungen mit entsprechenden Simulationsprogrammen rechnerisch abgeschätzt.

Für den Block 1 ergeben Analysen von TEPCO und der japanischen Behörde NISA (seit September 2012 „NRA“), dass der Kern fast vollständig geschmolzen sein muss und sich auf den Boden des RDB verlagert hat. Für Block 2 ergeben die Analysen eine signifikante Kernzerstörung. Unstrittig ist zudem, dass die Integrität des RDB nicht mehr gegeben ist. Offen ist dagegen die Frage, ob es auch zu einem Austrag von Kernschmelze in den Sicherheitsbehälter gekommen ist. Bei Block 3 sprechen die Beobachtungen für eine wesentlich stärkere Zerstörung als bei Block 2, mit Austrag von Schmelze in den Sicherheitsbehälter.

Berechnungen zum Zustand der Kernzerstörungen werden zudem im Rahmen eines Projekts der Nuclear Energy Agency der OECD (OECD/NEA) durchgeführt, an dem auch die GRS beteiligt ist. Fachorganisationen berechnen hier unter anderem den Unfallablauf in den Blöcken 1 bis 3 für die ersten 6 Tage mit unterschiedlichen Simulationsprogrammen und gleichen die Ergebnisse mit gemessenen Anlagendaten ab. Auch wenn die Berechnungen noch größere Unterschiede hinsichtlich des Umfangs der Kernzerstörung aufweisen, bestätigen die Analysen die Tatsache, dass es in allen drei Blöcken zu erheblichen Kernschäden und einer Beschädigung des RDB gekommen ist, wobei teilweise auch Kernschmelze aus dem RDB ausgetreten ist. Auch wenn sich der Kernzerstörungszustand noch nicht gesichert bestimmen lässt, so zeigt sich eine eindeutige Tendenz hin zu einer lokalen (in Block 2) bzw. starken (in Block 3) bis vollständigen (in Block 1) Kernzerstörung mit massiver Schmelzeumlagerung innerhalb des RDB und einem teilweisen Austrag in den Sicherheitsbehälter (in Block 1 und vermutlich in Block 3) mit zeitlich begrenzter Betonerosion. Eine Beschädigung des RDB oder seiner Durchführungen ist mit höherer Wahrscheinlichkeit auch für Block 2 anzunehmen. Diese Ergebnisse decken sich mit tatsächlich beobachteten Phänomenen wie der Freisetzung erheblicher Mengen an Spaltprodukten und den Zerstörungen der Reaktorgebäude der Blöcke 1, 3 und 4 durch Wasserstoffexplosionen, die ohne massive Kernschäden bzw. Kernoxidation nicht zu erklären sind.

Seit 2012 setzt TEPCO unter anderem Roboter ein, um Messdaten – etwa zu Temperatur und Strahlung – sowie Bildmaterial aus den Reaktorgebäuden zu erhalten. Dies dient zum einen der Validierung von bisherigen Einschätzungen und zum anderen dazu, die  Planungsgrundlage für weitere Maßnahmen zu verbessern. Ein wesentliches Ziel dieser Untersuchungen  besteht darin, die Leckagen bzw. Undichtigkeiten zu finden, durch die kontaminiertes Wasser aus den Sicherheitsbehältern der Blöcke 1 bis 3 austritt (siehe auch Abschnitt „Umgang mit kontaminiertem Wasser“).  Außerdem untersucht TEPCO derzeit Methoden, mit denen die zerstörten Reaktorkerne später geborgen werden könnten. Bei zwei der Methoden soll der Sicherheitsbehälter vollgeflutet oder teilgeflutet werden. Hierfür müssen die Behälter jedoch dicht sein. Bei einer weiteren Methode ist die Überdeckung der Kernschmelzfragmente mit Wasser lediglich auf dem Boden des Containments vorgesehen, während die vierte Methode eine Bergung im trockenen Zustand vorsieht. Weitere Informationen zu den diskutierten Methoden, enthält unter anderem der Technical Strategic Plan 2015 for Decommissioning of the Fukushima Daiichi Nuclear Power Station of Tokyo Electric Power Company der Nuclear Damage Compensation and Decommissioning Facilitation Corporation ab Seite 4-36.

Eine Technik, über die sich TEPCO Aufschluss über die Verteilung der Kernschmelzen innerhalb der Reaktoren für die spätere Bergung erhofft, ist die Myonen-Tomographie , die bei Block 1 bereits getestet wurde. Durch den Abgleich mit vorliegenden Konstruktionsunterlagen der Anlage konnte festgestellt werden, dass sich innerhalb des Reaktordruckbehälters keine größeren Kernbrennstoffbestandteile mit einer Größe von über einem Meter mehr befinden. Daraus folgert TEPCO, dass sich der Großteil des Kernbrennstoffs während des Unfalls aus dem Reaktordruckbehälter hinaus in den unteren Sicherheitsbehälterbereich verlagert hat. Die Myonen-Tomographie soll auch bei den Blöcken 2 und 3 zum Einsatz kommen.

Weitere Arbeiten

Um die radiologischen Auswirkungen während des Rückbaus der Anlagen weitestgehend zu reduzieren, wurden bzw. werden die beschädigten Reaktoren unter Stahlgerüstkonstruktionen eingehaust . Bei den Blöcken 1 und 4 ist die Einhausung bereits errichtet, während die Vorbereitungen zum Bau der Einhausung bei Reaktor 3 derzeit noch andauern. Welche Einhausung bei Block 2 umgesetzt wird, ist derzeit noch nicht abschließend entschieden. Hier soll in einem ersten Schritt das Reaktorgebäude bis auf den Bedienflur abgebaut werden. Die Einhausung der Reaktoren dient unter anderem auch dazu, die technischen Hilfsmittel, wie z. B. Kräne, zur Bergung der Brennelemente aus den Lagerbecken der Reaktoren an der Konstruktion der Einhausung installieren zu können. In Block 4 wurden bereits alle Brennelemente aus dem Lagerbecken entfernt. Mit der Bergung der Brennelemente aus dem Lagerbecken der Blöcke 1 und 2 soll im Jahr 2020, mit der Bergung aus Block 3 im Jahr 2017 begonnen werden. Die Arbeiten zur Bergung der Kernschmelzfragmente aus den Blöcken 1-3 werden derzeitigen Schätzungen zufolge in 20-30 Jahren beginnen.

Eine weitere Maßnahme, um Kontaminationen der Luft und des Meeres einzudämmen, ist die Versiegelung der Böden  auf dem Anlagengelände. Auf diese Weise soll unter anderem verhindert werden, dass kontaminierter Staub aufgewirbelt wird und kontaminiertes Regenwasser in das Erdreich gelangt. TEPCO hat aus diesem Grund inzwischen den Großteil des Anlagengeländes mit Asphalt oder Beton versiegelt. Auch der Boden des Hafenbereichs wurde auf ähnliche Art versiegelt, um den Austrag von radioaktiven Sedimenten ins offene Meer zu verhindern.

Radiologische Situation auf der Anlage und Einschätzung der gesundheitlichen Folgen für Bevölkerung und Personal

In den ersten Tagen des Unfalls wurden aufgrund von Explosionen, Druckentlastungen (Ventings) und anderen Prozessen erhebliche Mengen radioaktiver Stoffe in die Umwelt freigesetzt. Diese stammten aus den Kernschmelzen der Reaktoren der Blöcke 1 bis 3.   Im Zeitraum der ersten Unfallphase bis Ende März 2011 herrschte an den meisten Tagen eine Luftströmung aus westlichen Richtungen vor, so dass ein großer Teil der luftgetragenen Freisetzungen auf den offenen Pazifik transportiert wurde. Allerdings herrschte insbesondere am 15. und 16. März 2011 zwischenzeitlich eine Wetterlage mit Wind aus südöstlicher Richtung vor. In diesem Zeitraum gingen in Verbindung mit Niederschlag größere Mengen an radioaktiven Stoffen in einem Gebiet nieder, das sich vom Standort in nordwestlicher Richtung in eine Entfernung von bis zu einigen Dutzend Kilometern erstreckt. Im weiteren Verlauf des Unfallgeschehens gelangten radioaktive Stoffe darüber hinaus auch mit austretendem Wasser in den Pazifik. Verschiedene Organisationen (darunter WHO, UNSCEAR, IRSN) haben Abschätzungen zu der durch den Unfall verursachten Gesamtfreisetzung in die Umgebungsluft erstellt. Die IAEO hat die vorliegenden Abschätzungen 2015 in einem Bericht zusammengefasst.

Aktuelle Freisetzungen radioaktiver Stoffe   

Bis heute werden radioaktive Stoffe aus den Blöcken 1 bis 3 in die Umgebungsluft freigesetzt, u. a. durch Aufwirbelung kontaminierter Stäube, bei Aufräumarbeiten oder bei der Verdunstung kontaminierter Kühlwässer. Bezogen auf den Zeitpunkt des Unfalls sind diese allerdings um Größenordnungen geringer.

Trotz der oben genannten Maßnahmen, gelangen weiterhin radioaktive Stoffe in das Meer. Neben dem Transport über den Grundwasserstrom (siehe Abschnitt zu kontaminiertem Wasser), liegt dies beispielsweise auch an auftretenden Leckagen an den Tankbehältern mit kontaminiertem Wasser oder durch bei Starkregen überlaufende Drainagekanäle. Anfang 2016 sind radiologisch relevante Konzentrationen im Meerwasser  nur in unmittelbarer Nähe zur Anlage Fukushima Daiichi nachzuweisen. Beispielsweise wurden mit Stand Januar 2016 im 2-Kilometer Radius außerhalb der Anlage Gesamtbeta-Aktivitätskonzentrationen in der Größenordnung bis zu 10 Bq/l gemessen. Zur Ermittlung der Kontamination von Meerwasser und Fischereierzeugnissen führen sowohl der Betreiber als auch die Behörden regelmäßig Messungen der Aktivitätskonzentration in der Umgebung der Anlage Fukushima Daiichi durch. Im Februar 2014 wurde erstmals Cäsium-134 im Meerwasser vor der kanadischen Pazifikküste in einer Aktivitätskonzentration von 0,9 mBq/l nachgewiesen (zum Vergleich: der US-Grenzwert für Trinkwasser liegt für Cäsium-134 bei 2.960 mBq/l). Unter anderem wegen der kurzen Halbwertszeit von rund zwei Jahren wird davon ausgegangen, dass dieses Cäsium in Folge des Unfalls aus der Anlage in Fukushima freigesetzt und mit einer Pazifikströmung transportiert wurde.

Im Hinblick auf die insgesamt in den Pazifik gelangende Menge an radioaktiven Stoffen ist zu berücksichtigen, dass vor allem Cäsium auch über Flüsse eingetragen wird. Dieses Cäsium wurde in den ersten Tagen des Unfalls zunächst in die Luft freigesetzt und setze sich vor allem durch Niederschläge insbesondere in den heutigen Sperrgebieten ab. Dort gelangt es teilweise mit Regen- bzw. Schmelzwasser u. a. in Flüsse, die ins Meer münden.

Radiologische Situation auf dem Anlagengelände

Radiologische Daten (Ortsdosisleistung) werden vom Betreiber an der Grenze des Anlagengeländes und an unterschiedlichen Messpunkten auf dem Anlagengelände erhoben und in Übersichtskarten veröffentlicht. Die Messwerte der fest installierten Messsonden an der Grenze des Kraftwerksgeländes zeigten im Januar 2016 Werte im Bereich von etwa 0,6 bis 3,2 μSv/h. Insbesondere in unmittelbarer Nähe der Blöcke 1 bis 4 wurden bisher und werden auch Anfang 2016 zum Teil deutlich höhere Werte gemessen.  

Zur Reduzierung der Kontaminationen auf dem Anlagengelände wurden unter anderem Dekontaminationsmaßnahmen durchgeführt. So wurden beispielsweise Bäume gefällt, Asphaltflächen gereinigt, kontaminierte Flächen umgepflügt bzw. mit Erde abgedeckt sowie mehrere Deponien für kontaminierten Schutt und kontaminierte Erde angelegt. Wegen der auf dem Anlagengelände herrschenden Ortsdosisleistungen ist der Aufenthalt auf dem Gelände für Mitarbeiter nur mit entsprechenden Schutzmaßnahmen (z. B. Tragen von Schutzkleidung, Filtermasken) gestattet. Darüber hinaus werden Fahrzeuge, insbesondere Busse zum Transport des Personals, die das Anlagengelände verlassen wollen, auf Kontaminationen hin untersucht und Aufenthalts- und Ruheräume für Personal sind z. B. durch Filtersysteme gegen radioaktive Stoffe in der Luft und durch die Abschirmung von Fenstern gegen Direktstrahlung geschützt. Mittlerweile kann auf 90 % des Anlagengeländes auf das Tragen von Vollmasken verzichtet werden.

Radiologische Situation in der näheren Umgebung der Anlage  

Die Behörden veröffentlichen regelmäßig Messwerte der Ortsdosisleistung in dem betroffenen Gebiet. So wurde beispielsweise am Rande der 30 km-Zone unmittelbar nach dem Unfall am 17. März 2011 Werte von 170 μSv/h gemessen. Anfang Februar 2015 lag der Maximalwert an diesem Messpunkt bei 3,7 μSv/h. Die Verteilung der Ortsdosisleistung innerhalb der 20 km-Sperrzone im Januar 2016 sowie der vorhergehende zeitliche Verlauf an einigen Messpunkten in dem Gebiet sind in Abbildung 6 dargestellt.

Messungen der Ortsdosisleistungen werden darüber hinaus auch von Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise Greenpeace oder Safecast durchgeführt.

 

Strahlenbelastung und gesundheitliche Folgen beim Personal  

Bislang kamen auf dem Anlagengelände von März 2011 bis Ende November 2015 insgesamt 45.891 Personen zum Einsatz. Das Personal besteht aus Mitarbeitern des Betreibers TEPCO und externem Personal. Täglich sind mehrere Tausend Personen auf der Anlage tätig (siehe Abbildung 7).

Mit Stand 31. November 2015 wurde für das auf dem Anlagegelände und in der Anlage eingesetzte Personal eine Gesamtstrahlenexposition (Kollektivdosis) von etwa 580 Personen-Sievert (effektive Dosis) infolge äußerer und innerer Strahlenexposition ermittelt, wovon etwa 263 Personen-Sievert bis zum Ende des Fiskaljahres 2011 anfielen. Mit Personen-Sievert wird die Gesamtstrahlenexposition einer bestimmten Personengruppe (Kollektivdosis) angegeben. Zu deren Berechnung werden die Strahlenexpositionen (innere und äußere) der einzelnen Personen dieser Gruppe aufsummiert. Für sechs Personen, die im Kontrollraum tätig waren, wurde der Grenzwert für die effektive Dosis von 250 mSv überschritten. Diese Überschreitungen ereigneten sich während der akuten Unfallphase im März 2011. Die maximale Strahlenexposition (äußere und innere) einer dieser Personen beträgt hierbei etwa 680 mSv (hiervon 590 mSv innere Strahlenexposition durch Inhalation kontaminierter Luft).

Die von der GRS ausgewerteten Quellen enthalten keine weitergehenden Informationen über anhaltende deterministische Strahlenschäden (d. h. Schäden, die direkt zu Reaktionen des Zellgewebes oder dessen Schädigung in Folge der Strahlenexposition führen können). Abschätzungen zu gesundheitlichen Auswirkungen der Strahlenexposition wurden unter anderem von der WHO und UNSCAER veröffentlicht: Laut einer im Februar 2013 veröffentlichten Studie der WHO starben insgesamt sieben Personen, die in der Anlage tätig waren, wobei nach Auffassung der WHO jedoch kein Zusammenhang zwischen Todesursache und Strahlenexposition bestand: Zwei der Todesfälle hingen demnach direkt mit dem Erdbeben und dem Tsunami zusammen, drei waren durch Herzanfälle bedingt, einer durch eine Sepsis und einer durch Leukämie (die Zeit bis zum Ausbruch war kürzer als die minimale Latenzzeit für strahlungsbedingte Leukämie). Die Studie kommt weiterhin zu dem Schluss, dass bei Arbeitern mit höheren Expositionen, das Risiko, an Krebs zu erkranken, gegenüber den natürlichen Inzidenzraten erhöht ist. Auch eine UNSCEAR-Studie aus 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass bisher weder Todesfälle noch akute Erkrankungen beobachtet wurden, die mit der Strahlenexposition durch den Reaktorunfall in Verbindung gebracht werden können. Im Oktober 2015 wurde die Krebserkrankung eines Mannes als Folge seiner Tätigkeit in mehreren Kernkraftwerken anerkannt und in Folge dessen eine Entschädigungszahlung bewilligt. Zur Verfolgung möglicher gesundheitlicher Langzeitfolgen hat das japanische Gesundheitsministerium ein Maßnahmenpaket für Personen mit einer Dosis von mehr als 50 mSv veranlasst.

Strahlenexposition und gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung

Zur Abschätzung der Strahlenexposition und der gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung haben verschiedene Organisationen in den vergangenen Jahren Untersuchungen durchgeführt. Eine Studie zu der im ersten Jahr zu erwartenden Dosis wurde beispielsweise von der Weltgesundheitsorganisation WHO im Mai 2012 veröffentlicht. Eine neuere UNSCEAR-Studie aus 2013 beinhaltet Abschätzungen von mittleren effektiven Dosen (Ganzkörper) und Schilddrüsendosen.
Abbildung 8: Abgeschätzte charakteristische Dosisbereiche für verschiedene Bevölkerungsgruppen im ersten Jahr nach dem Unfall (Quelle: WHO).

Der WHO-Studie zufolge hat sich die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung für bestimmte Bevölkerungsgruppen aus den beiden am stärksten betroffenen Gebieten innerhalb der Präfektur Fukushima gegenüber der natürlichen Inzidenzrate erhöht, während UNSCEAR von keinen innerhalb der statistischen Fluktuationen wahrnehmbaren gesundheitlichen Effekten durch Strahlenexpositionen ausgeht.

Auch ein Untersuchungsbericht des japanischen Parlamentes hat sich im Juni 2012 mit den Gesundheitsfolgen des Reaktorunfalls befasst. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie lag demnach kein bestätigter Fall von ernsthaften Gesundheitsfolgen in der allgemeinen Bevölkerung vor, der direkt auf die Freisetzung von radioaktiven Stoffen aus dem Kraftwerk zurückzuführen wäre. Zu dem gleichen Schluss kommen die Studien von UNSCEAR und der IAEA, die etwa ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe keine Informationen über wesentliche gesundheitliche Folgen in der Bevölkerung ermitteln konnten, die einer Strahlenexposition zugeschrieben werden können. Beide Organisationen gehen in ihren Studien davon aus, dass keine erkennbare Zunahme gesundheitlicher Risiken aufgrund der Strahlenexposition der Bevölkerung außerhalb Japans zu erwarten ist.

Zur Beobachtung möglicher gesundheitlicher Langzeitfolgen und zur Durchführung künftiger Gesundheitsmaßnahmen wurde im Juni 2011 ein Gesundheitsüberwachungsprogramm gestartet, die sogenannte Health Management Survey for the Residents in Fukushima Prefecture. In dem von der Fukushima Medical University (FMU) koordinierten Programm werden Daten zur Strahlenexposition und zum aktuellen Gesundheitszustand von Personen aus der Präfektur Fukushima erfasst und langfristig verfolgt. Nach Einschätzung der FMU sind Gesundheitseffekte durch die äußere Strahlenexposition nicht zu erwarten. Unklar seien jedoch die gesundheitlichen Auswirkungen durch eine Aufnahme von radioaktivem Jod in der Schilddrüse, so dass der Langzeitbeobachtung der betroffenen Gruppen der Bevölkerung entsprechend hohe Bedeutung zukommt. Mit Stand August 2015 liegen für die Erstuntersuchung die Ergebnisse von 300.476 untersuchten Kindern und Jugendlichen vor. Darunter wurden 113 Fälle von vermuteten oder diagnostizierten bösartigen Schilddrüsentumoren ermittelt. Zu Vergleichszwecken wurde das Untersuchungsgebiet, abhängig von den erwarteten Expositionsbedingungen, in vier Regionen unterteilt. Im Ergebnis lag die Diagnoserate von Schilddrüsenkrebs für alle vier Regionen bei etwa 0,037 %. Die Resultate mit Stand Dezember 2015 der Zweituntersuchung zeigen bei 199.772 untersuchten Kindern 39 Fälle von vermuteten Schilddrüsentumoren bei 15 operierten und bestätigten Fällen.

Eine Arbeitsgruppe der Okayama University in Japan hat die Daten der Fukushima Medical University weiter untersucht und mit der mittleren Schilddrüsenkrebsrate in Japan verglichen. Als Resultat wurde eine 30-fache Schilddrüsenkrebsrate von Kindern in den Untersuchungsgebieten im Vergleich zu Gesamt-Japan festgestellt. Diese würde sich nach Aussage der Autoren nicht alleine durch den Effekt erklären lassen, dass durch die Reihenuntersuchung besonders viele Personen untersucht wurden. Allerdings war das Stadium des Schilddrüsenkrebses in 74 der Fälle nicht in einem besonders frühen Stadium, was bei einem strahlungsinduzierten Krebs zu erwarten wäre.

Folgen der Evakuierung

In der Studie von UNCEAR wird davon ausgegangen, dass in Folge der Evakuierungsmaßnahmen mehr als 50 stationär behandelte Patienten aufgrund von Hyperthermie, Dehydrierung oder der Verschlechterung der zugrunde liegenden medizinischen Probleme und wahrscheinlich weitere über 100 ältere Menschen in den Folgemonaten durch eine Vielzahl von mit der Evakuierung verbundenen Ursachen starben. Andere Quellen gehen von 44 Todesfällen während der Evakuierungsphase und Verletzungen von 13 Soldaten beim Katastropheneinsatz aus.

Psychosoziale Langzeitfolgen

Gegenstand von Untersuchungen sind auch mögliche psychosoziale Langzeitfolgen des Reaktorunfalls. Mit solchen Folgen rechnen Fachleute aufgrund der Erfahrungen mit dem Unfall in Tschernobyl sowie mit nicht-nuklearen Unfällen. Als langfristige Folgen von unfallbedingten Umsiedlungen nach dem Unfall in Tschernobyl sind unter anderem Häufungen von Depressionen, Suchterkrankungen mit organischen Folgeerkrankungen und Suiziden bekannt.

Die WHO kommt in ihrer Studie zu dem Schluss, dass die psychologischen Auswirkungen eine der zentralen Herausforderungen des Unfalls in Fukushima sein werden; die Folgen hieraus könnten andere gesundheitliche Konsequenzen des kerntechnischen Unfalls übertreffen. Tatsächlich wurden Depressionen und posttraumatische Stresssymptome in der Bevölkerung bereits beobachtet. Die Fukushima Medical University hat in einer Studie die psychische Verfassung und den Lebensstil von Personen aus den Evakuierungsgebieten untersucht und sieht ebenfalls diese Entwicklung. In der Studie kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass Evakuierte teilweise unter schweren psychologischen Problemen leiden. So wurden viele Haushalte nach dem Unfall getrennt und teilweise mehrfach evakuiert. Der Anteil der Personen mit traumatischen Symptomen liegt laut Studie in der gleichen Größenordnung wie bei den Arbeitern nach dem Angriff auf das World Trade Center. Auch bei Kindern würden schwere psychologische Probleme beobachtet, allerdings mit Verbesserungen von Jahr zu Jahr.

Evakuierte Gebiete und geltende Lebensmittelbeschränkungen

Mit der Deklaration des Anlagenzustandes »Cold Shutdown« am 16. Dezember 2011, wurde damit begonnen, die bestehenden Evakuierungs- und Sperrzonen anhand der prognostizierten Jahresdosen umzustrukturieren. Heute gelten die Evakuierungszonen, wie sie in Abbildung 9 zu sehen sind.

Vom Gesundheitsministerium (MHWL) werden nach wie vor umfangreiche Messungen in den unterschiedlichen Präfekturen durchgeführt und veröffentlicht. Ausgehend hiervon werden lokale Lebensmittelsperrungen ausgesprochen und regelmäßig angepasst. Mit Stand 1. Februar 2016 wurden für das Fiskaljahr 2015 insgesamt 273 Überschreitungen des derzeit geltenden allgemeinen Lebensmittel-Grenzwertes von 100 Bq/kg bei einer Gesamtheit von 290.994 genommenen Proben festgestellt. Aus diesem Grund war Ende Januar 2016 beispielsweise das Inverkehrbringen von speziellen Pilzen, Wildschweinfleisch, Bambussprossen, Sojabohnen oder Reis aus einigen Regionen verboten. Zu Beschränkungen beim Verzehr von Trinkwasser kam es in einzelnen Präfekturen bis Mai 2011.