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Hochwasser an einem deutschen Fluss mit dem einem Warnschild

Hochwasser - und wie Kernkraftwerke davor geschützt werden

Kernkraftwerke müssen gegen die Auswirkungen extremer Naturereignisse wie Starkregen, Flusshochwasser, Flutwellen oder Sturmfluten ausgelegt sein.

Welche Folgen ein unzureichender Überflutungsschutz auf ein Kernkraftwerk haben kann, hat beispielsweise die Reaktorkatastrophe in Fukushima gezeigt. Mehrere Tsunamiwellen überfluteten den Standort und zerstörten wichtige Sicherheitssysteme, was letztlich zum Ausfall der Kernkühlung und im weiteren Unfallverlauf zu den Kernschmelzen führte.

Aber auch ein Flusshochwasser kann für ein Kernkraftwerk zum Sicherheitsrisiko werden. So wurde der US-Kraftwerksstandort Fort Calhoun in Nebraska während der Missouri River Flood 2011 von einem mehrere Wochen andauernden Hochwasser eingeschlossen.

Das Kernkraftwerk Fort Calhoun während der Missouri River Flood im Juni 2011. Rot umrandet sind die Kraftwerksgebäude einschließlich Reaktorgebäude und Maschinenhaus zu sehen.
© wikimedia commons/U.S. Army Corps of Engineer
Das Kernkraftwerk Fort Calhoun während der Missouri River Flood am 16. Juni 2011. Wassergefüllte Schlauchbarrieren wurden zum Schutz vor Hochwasser um wichtige Gebäude herum aufgestellt. Weil die Anbindung an das externe Stromnetz zeitweilig vom Hochwasser unterbrochen wurde, musste die Energieversorgung zur Kühlung des Reaktors auf die Notstromdiesel übertragen werden. Rot umrandet sind die Kraftwerksgebäude einschließlich Reaktorgebäude und Maschinenhaus zu sehen.

Die GRS hat sich als Sachverständigenorganisation des Bundes regelmäßig mit naturbedingten Einwirkungen und möglichen Folgen auf die Sicherheit von Kernkraftwerken befasst - von der Auswertung von Ereignissen und ihrer Auswirkungen bis hin zum Bewerten der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen.

Vorgaben zum Schutz vor Hochwasser

In Deutschland sind die Vorgaben zum Schutz von Kernkraftwerken vor Hochwasser in den Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke und in den Regeln des Kerntechnischen Ausschusses  (KTA) festgelegt. Diese gelten auch während des Rückbaus und der Stilllegung von Kernkraftwerken. Darin werden Betreibern permanente und temporäre Maßnahmen zur Auswahl gestellt, um die Anforderungen an den Hochwasserschutz in einer Anlage zu erfüllen. In Deutschland ist es jedoch üblich, permanente Maßnahmen umzusetzen. Dazu gehört beispielsweise die Errichtung der Anlage auf einer Anhöhe, um eine Überflutung zu vermeiden. Zu den temporären Maßnahmen zählen unter anderem mobile Hochwasserbarrieren, wie man sie beispielsweise vom Hochwasserschutz an größeren Flüssen kennt.

Der Reaktorunfall in Fukushima führte in Deutschland zu weiteren Überprüfungen und Empfehlungen hinsichtlich des Hochwasserschutzes. So enthält beispielsweise die Stellungnahme der Reaktorsicherheits-Kommission (RSK) Empfehlungen für den Fall, dass es zu einem auslegungsüberschreitenden Hochwasserereignis kommt. Zur Verbesserung der „Robustheit“ der deutschen Anlagen wird darin unter anderem angeregt, zusätzliche Treibstoffmengen zur Versorgung der Notstromdiesel auf dem Gelände zu bevorraten. Diese Maßnahme wurde später in den deutschen Anlagen umgesetzt. Damit konnten die Notstromdiesel zur Kühlung der Reaktoren auch dann weiterbetrieben werden, wenn ein Dieselnachschub aufgrund des Hochwassers nicht rechtzeitig eintraf.

Darüber hinaus hat die GRS im Auftrag des Bundesumweltministeriums eine Weiterleitungsnachricht zu den Auswirkungen der Erdbeben an den japanischen Kernkraftwerksstandorten Fukushima Daiichi und Daini sowie Kashiwazaki-Kariwa erstellt. Sie enthält 22 Empfehlungen für deutsche Anlagen, etwa zur Versorgung mit Elektrizität und Kühlwasser, zur Erdbebenauslegung und zu Aspekten des Notfall- und des Brandschutzes. Die Empfehlungen der GRS und die Empfehlungen, die die RSK auf der Grundlage des nationalen Stresstests zur Verbesserung der Robustheit der deutschen Kernkraftwerke formuliert hat, bildeten die Grundlage für den nationalen Aktionsplan des Bundesumweltministeriums. Darin sind für jede Anlage die geforderten Maßnahmen mit ihrem jeweiligen Umsetzungsstand aufgeführt.

Das Bemessungshochwasser: Grundlage für den Hochwasserschutz

Um wirkungsvolle Schutzmaßnahmen gegen Hochwasser für einen konkreten Kraftwerksstandort treffen zu können, wird zunächst das Gefährdungspotenzial ermittelt. Grundlage dafür ist das sogenannte Bemessungshochwasser. Hierunter versteht man das maximale Hochwasserereignis, bei dem alle sicherheitstechnischen Schutzziele (z. B. Kühlung der Brennelemente) eingehalten werden müssen. Zur Ermittlung des Bemessungshochwassers wird in Deutschland ein statistisches Verfahren angewandt, in dem Wahrscheinlichkeiten für Überschreitungen von Pegelständen berechnet werden. Dazu werden Pegeldaten und Niederschlagsmengen der letzten 100 bis 150 Jahre ausgewertet und daraus das im Mittel einmal in 10.000 Jahren zu erwartende Hochwasser abgeleitet. Vergleichbare Methoden zur Gefährdungsbeurteilung werden auch in der Schweiz und in Frankreich angewandt.

Hochwassergefährdung für Flussstandorte berechnen

Im einem vom Bundesumweltministerium geförderten Vorhaben hat sich die GRS im Jahr 2019 mit der in den USA angewandten Berechnungsmethode zur Hochwassergefährdung für Flussstandorte befasst. Ziel war es unter anderem zu untersuchen, inwieweit sich diese Methode von der in Deutschland angewandten unterscheidet. In den USA kommen hydrologische Modelle zum Einsatz, die auf Grundlage der Niederschlagsmengen im Einzugsgebiet des Flusses und den Abflussraten daraus resultierender Überflutungen berechnen. Die Modelle und deren Entwicklung sind verhältnismäßig komplex, da sie unter anderem auch die topografischen und geologischen Eigenschaften des jeweiligen Einzugsgebietes berücksichtigen, wie zum Beispiel die Durchlässigkeit des Untergrundes oder das vorherrschende Gefälle.

Im Rahmen der Untersuchung wurde die US-Methode auf einen realen Standort in Deutschland angewandt. Als Referenzstandort wurde hierfür der Pegel in Schweinfurt am Main und seine Teileinzugsgebiete mit kleineren Zuflüssen gewählt. Um zu einer ersten, grundlegenden Einschätzung zu kommen, wurden die komplexen hydrologischen Abflussmodelle dabei zunächst durch vereinfachte Annahmen ersetzt. Dafür nutzten die Fachleute die Niederschlagsdaten von 162 Wetterstationen des Deutschen Wetterdienstes und Abflussdaten von neun Main-Zuflüssen im Einzugsgebiet. Die Pegeldaten wurden in Abhängigkeit von der Abflussmenge ermittelt.

Bei der Auswertung zeigte sich, dass sehr viel umfangreichere statistische Auswertungen der Niederschlagsstatistiken erfolgen müssten, um zu einem realistischen und doch abdeckenden Niederschlagereignis zu kommen. Der im Rahmen der Studie entwickelte, vereinfachte Ansatz kann derzeit die komplexen hydrologischen Modelle nicht ersetzen. Detaillierte Ergebnisse zu den Untersuchungen finden sich im GRS-Bericht „Weiterführende Untersuchungen zur deterministischen Bewertung naturbedingter Einwirkungen von außen auf Kernkraftwerke“.

Zur Ermittlung einer Überflutungswahrscheinlichkeit durch Flusshochwasser wurden die Pegelstände und Abflussraten in 11 Teilgebieten mit Main-Zuflüssen ermittelt.
© GRS
Zur Ermittlung einer Überflutungswahrscheinlichkeit durch Flusshochwasser wurden die Pegelstände und Abflussraten in 11 Teilgebieten mit Main-Zuflüssen ermittelt