(GRS 490) Untersuchungen zur deterministischen Bewertung der Einwirkungen aus Gasfreisetzungen und chemischen Explosionen

B. Forell, R. Wenke

Die in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke sind gegen Druckwellen aus chemischen Explosionen hinsichtlich ihrer Festigkeit und induzierter Schwingungen gemäß einer Richtlinie des Bundesinnenministeriums aus dem Jahre 1976 ausgelegt. Die Richtlinie führt auch vor dem Hintergrund heutiger Erkenntnisse und Betriebserfahrungen zu einer robusten mechanischen Auslegung. Gegen Einwirkungen aus der Freisetzung von gefährlichen Gasen können sicherheitstechnisch wichtige Gebäude im vollständigen Umluftbetrieb der Lüftungsanlage betrieben werden, wobei grundsätzlich auf dem Anlagengelände nur entzündliche Gase automatisch detektiert werden können. In diesem Vorhaben wurden deshalb die nicht-mechanischen Einwirkungen aus chemischen Explosionen und aus Gasfreisetzungen auf mehrere Sicherheitsebenen der elektrischen Energieversorgung abgeschätzt.
Dabei wurde zunächst anhand der Betriebserfahrung gezeigt, dass Verbrennungsprodukte wie Explosionsschwaden oder Brandrauch in der Lage sind, im Bereich von spannungsführenden elektrischen Leitern (hochenergetische) Störlichtbögen zu erzeugen, die so auch zum Ausfall der Netzversorgung von Kernkraftwerken geführt haben. Das Phänomen der durch Verbrennungsprodukte erzeugten Störlichtbögen wurde ebenfalls theoretisch untersucht. Dabei wurde insbesondere die temperaturbedingt geringere Dichte von Verbrennungsprodukten gegenüber der Luftdichte als Voraussetzung für Spannungsüberschläge identifiziert. Darüber hinaus befinden sich innerhalb der direkten Verbrennungszone ionisierte Teilchen, die zu einer erhöhten Leitfähigkeit führen.
Als weitere nicht-mechanische Auswirkung von Gaswolkenexplosionen wurde die Vulnerabilität von Dieselgeneratoren gegen Verbrennungsprodukte exemplarisch untersucht. Dazu wurden zunächst Versagenskriterien für eine minimale Sauerstoffversorgung und eine maximale Verbrennungslufttemperatur vor dem Turbolader eines Dieselaggregates bestimmt. Danach wurden CFD-Parameteruntersuchungen von Bränden vor einem Notspeisegebäude durchgeführt, um die Randbedingungen zu definieren, unter denen die Ausfallkriterien erreicht werden. In den Simulationen wurden der Brandbereich, die Wärmefreisetzungsrate pro Flächeneinheit und die Windgeschwindigkeit senkrecht zur Gebäudewand variiert. Die aus den Parameterstudien resultierenden Korrelationen zeigen, dass das Versagen von Dieselaggregaten basierend auf dem Kriterium der Sauerstoffversorgung früher erreicht wird als das auf Grund des Temperaturkriteriums der Fall ist. Zusätzlich wurden unterschiedliche Auswirkungen auf die Druckverluste in der Verbrennungsluftansaugung exemplarisch untersucht. Dabei zeigte sich, dass die temperaturbedingten Druckverluständerungen den Luftmassenstrom negativ beeinflussen. Die Beladung des Luftfilters durch Brandruß führt erst bei längeren Branddauern zu signifikanten Auswirkungen.
Als weiterer Arbeitsschritt wurden die Auswirkungen auf Kernkraftwerke durch gefährliche luftgetragene Stoffe (entzündbare und toxische Stoffe) abgeschätzt. Dabei wurde die Ausbreitung von exemplarischen Gefahrstoffen simuliert und die Konzentrationen der Gefahrstoffe vor den Einlassöffnungen eines Kernkraftwerkes berechnet. Unter der Annahme des Ausfalls des Lüftungsabschlusses wurden die in Anlagenräumen resultierenden Konzentrationsverläufe der Gefahrstoffe abgeschätzt. Im Notstromerzeugergebäude kann auf Grund der hohen Zuluftraten in den Dieselaggregataufstellräumen am ehesten gefährliche explosionsfähige Atmosphäre entstehen, wobei dieses Gebäude auch nicht gegen Notstandsfälle auszulegen ist. Für die übrigen sicherheitstechnisch wichtigen Gebäude zeigt sich, dass das Erreichen explosionsfähiger Atmosphäre innerhalb von Anlagenräumen sehr unwahrscheinlich ist – auch weil eine großvolumige Gaswolke vorher entzündet wird. Für toxische Schadstoffe ist das Erreichen von Referenzkonzentrationen innerhalb von Anlagenräumen leichter, da die zugehörigen Beurteilungswerte geringer sind. Die potenziellen sicherheitstechnischen Auswirkungen beim Ausfall von Personal wären aber auf Grund des Auslegungsmerkmals der Autarkie  über mindestens zehn Stunden geringer, als sie bei redundanzübergreifenden anlageninternen Explosionen auftreten könnten.