Von Klüften und Konzepten – aktuelle Forschung zu Kristallin als Wirtsgestein für ein Endlager

Seit dem Neustart der Standortsuche kommt als Wirtsgestein für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle auch Kristallingestein in Betracht, wie es beispielsweise in Bayern oder Sachsen anzutreffen ist. Aktuell arbeiten Fachleute des Endlagerforschungszentrums der GRS in mehreren Forschungsprojekten daran, das Verständnis grundlegender Eigenschaften des Wirtsgesteins zu vertiefen und Konzepte für die Bewertung der Sicherheit eines Endlagers in Kristallingestein zu entwickeln – in eigenen Laborversuchen, in Kooperation mit ausländischen Forschungspartnern und eingebunden in Versuche im Schweizer Untertagelabor Grimsel.

Vor wenigen Wochen wurde an der Westküste Finnlands mit der Errichtung des weltweit ersten Endlagers für hochradioaktive Abfälle aus der zivilen Nutzung der Kernenergie begonnen. Auch Schweden hat sich bereits auf einen Endlagerstandort festgelegt. Beide Endlager werden in Kristallingestein gebaut – landläufig oft auch als „Granit“ bezeichnet. Auch in Deutschland kommt nach dem Standortauswahlgesetz Kristallingestein neben Steinsalz und Tongestein als Wirtsgestein für ein Endlager in Betracht. Entsprechende Vorkommen, die im gegenwärtig laufenden Auswahlverfahren für einen Endlagerstandort mit betrachtet werden, finden sich vor allem in Bayern und Sachsen.

Im Endlagerforschungszentrum der GRS beschäftigen sich Fachleute seit mehr als 25 Jahren mit unterschiedlichsten wissenschaftlichen Fragestellungen zur Sicherheit von Endlagern – angefangen von Untersuchungen grundlegender Eigenschaften möglicher Wirtsgesteine bis hin zur Entwicklung von Methoden für die Standortauswahl und den Nachweis der Sicherheit eines Endlagers. Nachdem der Schwerpunkt der Endlagerforschung in Deutschland über lange Zeit vor allem auf Steinsalz, aber auch auf Tongestein lag, hat mit dem Neustart der Standortauswahl die Forschung zum Kristallingestein an Bedeutung gewonnen.

Konzept zur Darstellung und Prüfung der Sicherheit 

So entwickelt die GRS gemeinsam mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und der BGE Technology GmbH (BGE TEC) in einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt ein Konzept zur Darstellung und Prüfung der Sicherheit eines Endlagers im Kristallingestein. In einem derartigen Konzept wird dargelegt, wie die radioaktiven Stoffe aus den eingelagerten Abfällen so in einem definierten Bereich im Untergrund – dem sogenannten „einschlusswirksamen Gebirgsbereich“ (kurz: ewG) – eingeschlossen werden, dass sie über einen Zeitraum von einer Million Jahre nicht oder allenfalls in unbedenklichen Mengen an die belebte Umwelt gelangen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei verschiedene Eigenschaften des jeweiligen Wirtsgesteins.

Für Steinsalz und Tongestein wurden entsprechende Konzepte bereits entwickelt. Diese lassen sich für Kristallingestein allerdings nicht übernehmen, da sich die Wirtsgesteine in zentralen Eigenschaften stark unterscheiden, wie Dr. Judith Flügge, Leiterin der Abteilung Standortauswahl der GRS, erklärt: „Während die als Wirtsgestein in Frage kommenden Steinsalz- und Tongesteinsformationen in dichten, homogenen Einheiten anzutreffen sind, kann Kristallingestein auch im tiefen Untergrund stark geklüftet sein. Durch solche Klüfte – bildlich gesprochen: Risse im Gestein – könnte Grundwasser durch den Untergrund zu den Abfallbehältern gelangen.“ Dies wiederum könnte dazu führen, dass die Behälter durch Korrosion undicht werden und radioaktive und andere Stoffe in den Untergrund freigesetzt werden; in den geplanten Endlagern in Finnland und Schweden soll dies durch eine korrosionshemmende Kupferschicht um die Abfallbehälter verhindert werden.

Für Kristallingestein werden deshalb zwei Ansätze verfolgt, die bereits in vorangegangenen Projekten ausgearbeitet wurden: Beim „multiplen ewG“ sollen die Abfallbehälter in mehreren kleineren Bereichen eingelagert werden, die jeweils so gering geklüftet sind, dass der sichere Einschluss der radioaktiven Abfälle in diesen Bereichen gewährleistet werden kann. Beim „überlagernden ewG“ soll der Einlagerungsbereich im Kristallingestein durch eine Steinsalz- oder Tongesteinsformation überdeckt sein, die ihrerseits dann eine unüberwindliche Hürde für die Radionuklide darstellt.  

In einer speziellen Simulationssoftware erstellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun für jeden Ansatz ein standortunabhängiges geologisches 3D-Modell. Diese 3D-Modelle speisen sie anschließend in Rechencodes (d3f++ und RepoTREND) ein, die für die Berechnung der Ausbreitung von Stoffen in einem Endlagersystem entwickelt wurden. Dabei unterstellen sie den Fall, dass Wasser in den Einlagerungsbereich eindringt, was zu einer Freisetzung von Radionukliden aus den Abfallbehältern führt. Dadurch wollen sie herausfinden, unter welchen Bedingungen und über welche Zeiträume Radionuklide an die Biosphäre gelangen könnten, woraus sich dann beispielsweise Anforderungen an einen ewG ableiten lassen. Diese Anforderungen sind wiederum erforderlich, um Sicherheitskonzepte entwickeln bzw. überprüfen zu können.

Wissenschaftlich-Technische Zusammenarbeit seit über 20 Jahren

Neben solchen konzeptionellen Fragestellungen gibt es auch auf grundlegenderer Ebene offene Fragen, etwa zu bestimmten Eigenschaften von Kristallingestein, die relevant für seine Funktion als Wirtsgestein sind. Auch dazu laufen verschiedene Forschungsprojekte, unter anderem im Rahmen der vom Bundeswirtschaftsministerium unterstützten Wissenschaftlich-Technischen Zusammenarbeit mit Russland. So sind Forschende der GRS an mehreren wissenschaftlichen Arbeiten in Kristallingestein in der Region Krasnojarsk beteiligt, wo zurzeit ein russisches Untertagelabor entsteht. Zum einen werten sie dabei Probenmaterial aus dem Gebiet Yeniseysky aus, um experimentelle Daten zu erheben. Dazu untersuchen sie im Geowissenschaftlichen Labor unter anderem das Sorptionsverhalten von Stoffen an geklüfteten Gesteinen. Die Sorption – das heißt bildlich gesprochen das „Anhaften“ der Stoffe an dem Gestein – hat wesentlichen Einfluss darauf, ob bzw. wie diese Stoffe mit eingetretenem Grundwasser von den Behältern weg durch den Untergrund transportiert werden könnten. 

Zum anderen werden derartige Transportprozesse mithilfe von 3D-Modellen simuliert. Eine besondere Herausforderung liegt dabei in der Frage, wie die Klüftung des Kristallingesteins in den Modellen berücksichtigt werden kann. Judith Flügge, die ihre Doktorarbeit über die Auswirkungen von extremen Klimazuständen auf den Radionuklidtransport im Deckgebirge eines Endlagers geschrieben hat, leitet das Projekt. Sie erklärt: „Natürlich lässt sich nicht jede einzelne Kluft in so einem Modell naturgetreu abbilden – die genaue Lage und Größe jeder einzelnen ist ja auch in der Realität nicht bekannt. Umso wichtiger ist es, dass wir eine Methode entwickeln, mit der wir das Gestein so modellieren können, dass wir dann den Transport der Radionuklide möglichst realitätsnah berechnen.“ Um die Ergebnisse der Berechnungen dreidimensional visualisieren zu können, greifen die Fachleute auch auf das virtuelle Untertagelabor VIRTUS zurück, das die GRS gemeinsam mit BGR, BGE TEC und dem Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und Fabrikautomatisierung entwickelt hat. VIRTUS ermöglicht beispielsweise den Forschenden, mit VR-Brillen Details der Modellierung in einem 3D-Modell nachzuvollziehen.

Auch in einem weiteren Projekt geht es darum, die Kenntnisse über die Sorption von Radionukliden an Kristallingestein zu vertiefen. Dazu untersuchen die Fachleute im Labor des Braunschweiger Endlagerforschungszentrums der GRS Gesteinsproben von Standorten in Tschechien, Russland und Südkorea. Die so gewonnenen Daten gehen anschließend in Simulationsrechnungen ein, mit denen die Radionuklidausbreitung im geologischen Untergrund analysiert werden kann.

Langzeitstabilität und Radionuklidmobilität

Neben Laborforschung sind Fachleute der GRS auch an Versuchen in Untertagelaboren im Ausland beteiligt. So untersuchen sie beispielsweise in einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Karlsruher Institut für Technologie und der Uni Jena, wie sich geotechnische Barrieren aus Bentonit in einem Endlager in Kristallingestein über lange Zeiträume verhalten. Die Arbeiten finden im internationalen Schweizer Felslabor Grimsel im engen Austausch mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Finnland, Schweden, der Schweiz, Spanien und den USA statt. 

Aufbauend auf den Ergebnissen aus insgesamt vier Vorläuferprojekten werden dort derzeit vor allem Fragestellungen betrachtet, die sich mit Prozessen an der Grenzfläche von Kristallingestein und der geotechnischen Barriere befassen. Dabei untersuchen die Forschenden, inwieweit die Bentonitbarriere durch äußere Einwirkungen beeinträchtigt wird. Gelangt beispielsweise Grundwasser an diese Barrieren, so können kleine Partikel aus dem Bentonit herausgelöst werden. Mithilfe von In-situ-Experimenten und darauf aufbauenden Simulationsrechnungen untersuchen sie, welchen Einfluss diese Prozesse auf den Radionuklidtransport und damit auf die Langzeitsicherheit haben.

Crystalline Club: Internationaler Austausch und gemeinsame Studien

Der internationale Austausch findet jedoch auch unabhängig von Projekten statt. So hat die Nuclear Energy Agency der OECD vor vier Jahren mit dem „Crystalline Club“ ein internationales Fachgremium ins Leben gerufen, in dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt regelmäßig austauschen – der „Clay Club“ und der „Salt Club“ für die anderen beiden Wirtsgesteine waren bereits Jahre zuvor etabliert worden. Judith Flügge ist aktuell Vorsitzende des Crystalline Clubs. „Mit Fachkolleginnen und -kollegen aus anderen Ländern auch persönlich vernetzt zu sein, fördert den fachlichen Austausch sehr. Gerade bei komplexen Fragestellungen wie zum Beispiel der Modellierung von Klüften bringt es uns weiter, verschiedene Lösungsansätze vergleichen und diskutieren zu können“, erklärt Flügge. Neben regelmäßigen Videokonferenzen findet jährlich eine Vollversammlung statt, die nächste Vollversammlung ist für 2022 in Dresden geplant.

Über das Endlagerforschungszentrum der GRS

Das Endlagerforschungszentrum in Braunschweig ist seit mehr als 25 Jahren Teil der GRS. Hier betreiben etwa 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anwendungsorientierte Grundlagenforschung zu unterschiedlichsten Fragen der Sicherheit von Endlagern. Das Spektrum der Arbeiten reicht dabei von Laboruntersuchungen zu grundlegenden Eigenschaften von Wirtsgesteinen über die Kooperation in internationalen Untertagelaboratorien bis hin zur Entwicklung von Konzepten zur Bewertung der Langzeitsicherheit von Endlagern und entsprechender Simulationssoftware. Auch die untertägige Entsorgung chemisch-toxischer Abfälle war und ist immer wieder Gegenstand von Forschungsprojekten.