Kernenergie in der Türkei

• Die Türkei ist sehr stark abhängig von Energieimporten – die Kernkraft soll diese Abhängigkeiten auf CO2-armem Wege verringern.

• Am Standort Akkuyu sind derzeit vier Reaktorblöcke im Bau; der erste Block soll 2024 ans Netz gehen, die drei übrigen sukzessive bis 2028. Aktuell werden Gespräche über den Bau weiterer KKW geführt.

Status quo der Stromerzeugung

Das starke Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum der Türkei in den letzten drei Jahrzehnten hat die Energienachfrage stark ansteigen lassen. 2022 wurden in der Türkei ca. 326 TWh Strom produziert, was mehr als fünfmal so viel ist wie 1990. Der größte Anteil dessen (58 %) wurde durch fossile Energieträger erzeugt. Die Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien belief sich insgesamt auf etwa 40 %. 2022 importierte die Türkei rund 74 % ihrer Energie; etwa die Hälfte des Erdgases wird aus Russland importiert.

KKW und Strommix Türkei
KKW und Strommix Türkei

Die geplante Umstrukturierung des Energiesystems umfasst neben dem Einstieg in die Kernenergie die Förderung der einheimischen Öl- und Gasexploration und -produktion, die Diversifizierung der Öl- und Gasversorgungsquellen, die Steigerung der Produktion Erneuerbarer Energien sowie die Verbesserung der Energieeffizienz.

[Wir nutzen die Zahlen der International Energy Agency (IAE), die für die Türkei den Stand 2021 wiedergibt.]

Politische und rechtliche Rahmenbedingungen

In Türkiye`s International Energy Strategy wird die Kernenergie explizit als „fundamentales Element“ aufgeführt. Dabei wird ihre Rolle bei einer nachhaltigen und klimaschonenden Strom- und Energieproduktion hervorgehoben: „Türkiye aims to add nuclear power into its energy mix in order to decrease negative environmental effects of energy production, to meet its energy demand increase as well as to reduce its energy import dependency.“ Teils mehr, teils weniger konkret ist in der Türkei der Bau von Kernkraftwerken an drei Standorten geplant.

Landkarte Türkei
Landkarte Türkei

Aktuelle Planungen und Projekte

Große KKW. Seit 2018 wird an der Mittelmeerküste das KKW Akkuyu gebaut. Hier sollen nach Fertigstellung vier WWER-1200-Reaktoren vom Typ V-509 CO2-armen Strom produzieren. Die Anlage wird von der eigens dazu gegründeten Akkuyu Nuclear Joint-Stock Company gebaut, die das KKW anschließend auch besitzen, betreiben und eines Tages zurückbauen soll. Das Unternehmen gehört derzeit zu 100 % zu Rosatom, langfristig sollen mindestens 51 % in Besitz des russischen Staatsunternehmens bleiben.

Blick auf die Baustelle des KKW Akkuyu
© Rosatom
Baustelle KKW Akkuyu

Block 1 soll 2025 den kommerziellen Betrieb aufnehmen, der Start der Inbetriebnahme ist für 2024 vorgesehen. Im Dezember 2023 stellte die türkische Aufsichtsbehörde die Betriebsgenehmigung für Block 1 aus. Die drei übrigen Blöcke, die bereits alle in unterschiedlichen Phasen des Baus sind, sollen sukzessive bis 2028 folgen.

Mitte September 2024 teilte der türkische Energieminister mit, dass sich der kommerzielle Betrieb von Block 1 um einige Monate nach hinten verschieben wird, da das deutsche Unternehmen Siemens Energy Schlüsselteile zurückhalte. Rosatom habe die fehlenden Teile deshalb in China bestellt. Die Türkei erwäge zudem Geldstrafen gegen Siemens Energy.

Für ein weiteres Kernkraftwerk am Standort Sinop wurde im Jahre 2018 die Machbarkeitsstudie abgeschlossen, deren Ergebnisse weder hinsichtlich der Kosten noch des Projektablaufplans mit den ursprünglichen Bestimmungen übereingestimmt haben. Das bedeutet, dass das Projekt nicht (gemäß den Vorgaben) machbar ist. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde abgeschlossen, der Antrag für die Standortgenehmigung steht jedoch noch aus. Rosatoms Generaldirektor Alexei Lichatschow sagte Anfang März 2024, dass auch dieses Neubauprojekt an Russland gehen soll. Hier sind Medienberichten zufolge vier Reaktoren geplant.

Für das dritte potenzielle Neubauvorhaben laufen die Untersuchungen möglicher Standorte nach festgelegten Akzeptanz- und Ausschlusskriterien der Standortauswahl, zuletzt war vermehrt von einem möglichen Standort im türkischen Teil Thrakiens die Rede. Parallel laufen Verhandlungen mit potenziellen internationalen Technologieanbietern. Neben Rosatom und der Korea Electric Power Corporation (KEPCO) sind Chinas State Nuclear Power Technology Corporation und Westinghouse geführt.

SMR. Die Türkei beabsichtigt ein eigenes Projekt eines Flüssigsalzreaktors mit dem Einsatz von thoriumhaltigem Kernbrennstoff zu entwickeln. Dafür wurde 2019 die Mitgliedschaft im internationalen Forum für Reaktoren der Generation IV (GIF) beantragt. Die Türkei gehört zu den Ländern mit nachgewiesenen großen Thoriumvorräten.

Des Weiteren wurde 2019 eine Absichtserklärung zwischen dem Unternehmen Rolls-Royce und der staatlichen türkischen Stromerzeugungsgesellschaft EUAS über die Durchführung einer Studie zur Bewertung des Einsatzes kleiner modularer Reaktoren (SMR) in der Türkei unterzeichnet. Drei wesentliche Aspekte werden von der Türkei in Zusammenhang mit dem SMR-Projekt berücksichtigt: eine verfügbare Designgenehmigung, eine Referenzanlage und niedrige Investitionen.

Forschungsreaktor

Die Türkei verfügt über einen Forschungsreaktor vom Typ TRIGA MARK II, der sich im Çekmece Nuclear Research and Training Center (ÇNAEM) in Istanbul befindet.

Uran- und Thoriumvorräte

Neben großen Thoriumressourcen, die bei einem Flüssigsalzreaktor zum Einsatz kommen könnten, verfügt das Land über kleinere Uranvorkommen. Der Vertrag zwischen Rosatom und der Türkei für Akkuyu sieht ebenfalls die Errichtung einer Brennelementfabrik in der Türkei vor.

 

[Stand: 20.09.2024]