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Aktiver und passiver Wegweiser
Reaktorsicherheit

Störfälle in Kernkraftwerken beherrschen: Simulationscodes für passive Sicherheitssysteme

Forscherinnen und Forscher verschiedener deutscher Institutionen haben in einem gemeinsamen Projekt die passiven Sicherheitssysteme von Kernkraftwerken unter die Lupe genommen.

In Kernkraftwerken sorgt ein umfangreiches Repertoire an Sicherheitssystemen dafür, dass die Anlage im Falle einer Störung in einen sicheren Zustand überführt wird. Man unterscheidet dabei zwischen aktiven und passiven Sicherheitssystemen. Aktive Systeme benötigen eine elektrische Energieversorgung, z. B. für Pumpen oder Ventile, um ihre Funktion zu erfüllen. Passive Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass keine externe Energie zur Aktivierung oder zum Betrieb benötigt wird. Die treibenden Kräfte beruhen allein auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten, wie z. B. Gravitation, Kondensation oder Verdampfung.

In deutschen Kernkraftwerken kommen vorwiegend aktive Sicherheitssysteme zum Einsatz. Der internationale Trend bei der Entwicklung neuer Reaktorkonzepte geht allerdings zum verstärkten Einsatz von passiven Systemen. Grund dafür ist, dass diese eine geringe Abhängigkeit von äußeren Einflüssen und vom Betrieb notwendiger Zusatzsysteme aufweisen.

Experimente am weltweit größten Teststand für passive Systeme

Das Besondere am EASY-Projekt: Die Forscher haben die Ergebnisse ihrer Analysen anhand von Experimenten am Integralteststand Karlstein (INKA) der FRAMATOME GmbH in Karlstein überprüft. Der Teststand ist weltweit die größte Versuchseinrichtung ihrer Art. In ihm lässt sich das Zusammenwirken zwischen verschiedenen passiven Komponenten des fortschrittlichen Siedewasserreaktor-Konzepts KERENA der FRAMATOME, wie z. B. der Notkondensator oder das passive Kernflutsystem, im Höhenmaßstab 1:1 unter störfalltypischen Bedingungen testen. Das Herzstück von INKA sind vier Druckbehälter mit einer Höhe von bis zu 30 Metern und einem Volumen von bis zu 350 Kubikmetern.

Überprüfung der Systeme mit GRS-Simulationscodes

Ziel des Projekts war es, Nachweistools für die Berechnung von Störfällen in Kernkraftwerken mit passiven Systemen weiterzuentwickeln und anhand von INKA-Testergebnissen zu validieren. Die Fachleute wollten dabei zwei GRS-Simulationscodes testen: ATHLET und COCOSYS. ATHLET ist ein Programm zur Analyse des dynamischen Verhaltens des Reaktors und der Kühlkreisläufe eines Kernkraftwerks bei Lecks und Transienten. Mit COCOSYS lassen sich Simulationen von Stör- und Unfallabläufen in Containments von Leichtwasserreaktoren durchführen. Beide Codes sind wesentliche Bestandteile des GRS Codesystems AC2 und werden beispielsweise eingesetzt, um zu überprüfen, ob bestimmte Störfälle beherrschbar sind.

Die Rechencodes wurden ursprünglich für Reaktoren mit überwiegend aktiven Sicherheitssystemen entwickelt. Passive Systeme stellen für die Berechnung mit Simulationscodes – unter anderem durch die geringen treibenden Kräfte – eine Herausforderung dar. Ihre Fähigkeit, die Charakteristika passiver Systeme (z. B. Temperaturschichtungen in großen Wasserpools, kleine Unterschiede in Temperatur oder Druck) zu berechnen, muss deshalb für passive Systeme weiterentwickelt und validiert werden. Im Forschungsprojekt sollte deshalb geklärt werden, wie gut die beiden Simulationscodes in der Lage sind, das Verhalten der passiven Systeme in Abhängigkeit einer Vielzahl sich kontinuierlich ändernder Parameter vorherzusagen.

Ergebnisse des Projekts

Im Projekt wurden die in INKA durchgeführten integralen Experimente mit den GRS-Simulationscodes ATHLET und COCOSYS nachgerechnet. Dabei zeigte sich, dass der Systemcode ATHLET für diese Versuche in der Lage ist, die Phänomene im Reaktorkühlkreislauf gut zu simulieren. Zudem wurde der Sicherheitsbehälter in den Versuchen mit dem Containment-Code COCOSYS simuliert. Hierzu setzen die Fachleute der GRS eine gekoppelte Version der beiden Programme ATHLET und COCOSYS ein. Es stellte sich heraus, dass eine Kopplung beider Programme ebenfalls zu guten Übereinstimmungen mit den experimentellen Daten führt, die Kopplung selbst aber weiter optimiert werden muss, um deren Stabilität zu verbessern. Weiterhin zeigte sich, dass die Simulation der passiven Wärmeübertrager zur Nachwärmeabfuhr aus dem Reaktorkühlkreislauf und dem Sicherheitsbehälter für beide Programme sehr anspruchsvoll ist. Sie bleibt daher auch in Zukunft zusammen mit der Weiterentwicklung der Kopplung ATHLET/COCOSYS ein wichtiges Thema für die Sicherheitsforschung der GRS.

Aus den Experimenten ging außerdem hervor, dass die passiven Systeme des KERENA-Designs sowohl komponentenweise als auch in ihrem Zusammenwirken effektiv arbeiteten und die Anforderungen erfüllen. Auch wenn passive Systeme in Deutschland nur im geringen Maße zum Einsatz kommen, unterstützen die Forschungsergebnisse Deutschland dabei, die Sicherheit ausländischer Kernkraftwerke unabhängig zu beurteilen und die Werkzeuge hierfür auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zu halten.

Projekt-Highlights Reaktorsicherheit

Forschungsreaktor FRM auf dem Forschungscampus Garching bei München
Untersuchungen zum sicheren Betrieb von Forschungsreaktoren
2020 - 2023

Forschungsreaktoren unterscheiden sich in Bauart und Nutzung erheblich von kommerziellen Reaktoren in Kernkraftwerken. Forscherinnen und Forscher der GRS untersuchen, wie sich diese Unterschiede auf die Sicherheit von Forschungsreaktoren auswirken.

Reaktorsicherheit
Schaltschrank explodiert
HEAF: Versagen der Elektronik im Schaltschrank als Brandursache
2019 - 2021

Die GRS forscht im Projekt HEAF des Committee on the Safety of Nuclear Installations (CSNI) zum Thema Brandschutz in kerntechnischen Anlagen. Das CSNI ist ein internationales Gremium der Agentur für Kernenergie (NEA) der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD). Es koordiniert alle Projekte der NEA, die sich mit der Sicherheit kerntechnischer Einrichtungen beschäftigen.

Reaktorsicherheit