INES - Bewertungsskala für nukleare Ereignisse

Die International Nuclear and Radiological Event Scale – kurz INES – ist ein Instrument zum Einordnen nuklearer „Ereignisse“ in kerntechnischen Anlagen und im Umgang mit ionisierender Strahlung. Die GRS stellt im Auftrag des Bundesumweltministerium den INES-Officer für Deutschland, der die Einstufungen von Ereignissen überprüft.

INES wurde 1990 von Fachleuten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und der Kernenergieagentur der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD/NEA) entwickelt. Die Absicht dahinter war, der Öffentlichkeit mit INES einen vereinfachten, zuverlässigen und schnellen Zugang zur sicherheitstechnischen Bedeutung eines nuklearen Ereignisses zu ermöglichen – ähnlich wie ihn die Richter-Skala für die Stärke von Erbeben gibt. Das Ereignis kann dabei Einrichtungen betreffen, in denen nukleare Stoffe oder ionisierende Strahlung genutzt werden – vom Kernkraftwerk, über Krankenhäuser bis hin zu Forschungseinrichtungen. Weltweit nutzen mittlerweile über 60 Länder INES.

INES-Skala
© GRS
Skizze der INES-Skala

Wie funktioniert INES?

Die INES-Skala besteht aus insgesamt sieben Stufen. Die Schwere des Stör- oder Unfalls steigt mit jeder Stufe von der niedrigsten Stufe 1 – der sogenannten „Störung“ („anomaly“) bis zur höchsten Stufe 7 – den „Katastrophalen Unfall“ („major accident“). Ereignisse der Stufen 1 bis 3 als „Störfälle“ („incidents“) bezeichnet; höher eingestufte Ereignisse gelten als „Unfälle“ („accidents“). Die Darstellung der INES-Stufen erfolgt üblicherweise in Form einer Pyramide.

Im Lauf der Jahre ist es darüber hinaus üblich geworden, Ereignisse ohne oder mit geringer sicherheitstechnischer Bedeutung in eine inoffizielle „Stufe 0“ („deviation“) einzuordnen.

Video: Was uns INES über Ereignisse in Kernkraftwerken verrät

            <div>Video: Was uns INES über Ereignisse in Kernkraftwerken verrät</div>

Wie werden Ereignisse eingeordnet?

Ereignisse werden mit Hilfe eines umfangreichen Katalogs an Kriterien klassifiziert. Die Kriterien lassen sich in folgende Kategorien gliedern: 

  • Auswirkung auf Mensch und Umwelt (außerhalb der Anlage) 
  • Auswirkung auf radiologische Barrieren und Überwachungsmaßnahmen (innerhalb der Anlage)
  • Beeinträchtigung der Sicherheitsvorkehrungen (innerhalb der Anlage)

Alle Kriterien sind im INES-Handbuch der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) festgehalten. 

INES-Stufe Beschreibung des Ereignisses
Stufe 1 - Störung
  • Kernkraftwerk Olkiluoto-1 Finnland (2008): Schnellabschaltung der Hauptumwälzpumpen bei gleichzeitigem Ausfall der Schwungradspeicherung während der Reaktorabschaltung
  • Kernkraftwerk Rajasthan-5, Indien (2012): Exposition von zwei Arbeitern oberhalb der Dosisgrenzwerte 
Stufe 2 - Störfall 
  • Kernkraftwerk Laguna Verde-2, Mexiko (2011): Reaktorschnellabschaltung wegen hohem Druck im Reaktordruckbehälter
  • Krankenhaus, Paris, Frankreich (2013): Überschrittener Jahresgrenzwert eines Interventionellen Radiologen
Stufe 3 - ernster Störfall
  • Produktionsanlage zur Herstellung von Radionukliden, Fleurus, Belgien (2008): Freisetzung von Jod-131 in die Umwelt 
  • Lima, Peru (2012): Schwere Überschreitung des Dosisgrenzwerts eines Röntgenassistenten
Stufe 4 - Unfall
  • Metallschrott-Anlage, Neu-Delhi, Indien (2010): Radioaktives Material führte zu akuter Exposition eines Mitarbeiters
  • Bestrahlungsanlage, Stamboliysky, Bulgarien (2011): Strahlenexposition von vier Arbeitern
Stufe 5 - ernster Unfall 
  • Kernkraftwerk Three Mile Island, USA (1979): Schwere Schäden am Reaktorkern
  • Goiania, Brasilien (1987):  Vier Tote nach Strahlenexposition durch eine in einer stillgelegten Klinik zurückgelassene Hochaktivitätsquelle
Stufe 6 - schwerer Unfall
  • Wiederaufarbeitungsanlage Kyshtym, Russische Föderation (1957): Freisetzung von radioaktivem Material in die Umwelt nach der Explosion eines hochaktiven Abfalltanks 
Stufe 7 - katastrophaler Unfall
  • Kernkraftwerk Tschernobyl, Ukraine (1986): Signifikante Freisetzung von radioaktiven Stoffen mit weitreichenden Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt
  • Kernkraftwerk Fukushima, Japan (2011): Erhebliche Freisetzung von radioaktivem Material mit weitreichenden Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt

Reaktorunfall in Tschernobyl 

Tschernobyl ist der schwerste Unfall in der Geschichte der Kernenergie. Auf der der internationalen Bewertungsskala INES wurde er auf der höchsten Stufe 7 als „katastrophaler Unfall“ eingestuft. Rund acht Tonnen radioaktiver Brennstoff gelangten durch mehrere Explosionen aus dem Reaktorkern in die Umgebung (Gesamtaktivität von etwa 12 x 1018 Becquerel).

Radioaktive Stoffe wie Caesium-137 und Iod-131 gelangten in die Atmosphäre und kontaminierten die Region nordöstlich von Tschernobyl und gelangten mit dem Wind in viele europäische Länder. Um den Standort wurde eine Sperrzone eingerichtet, die bis zum heutigen Tag unbewohnt ist.

Kernkraftwerk Tschernobyl nachdem das New Safe Confinement über den zerstörten Reaktorblock geschoben wurde
© istockphoto.com/ Ondrej Bucek
Kernkraftwerk Tschernobyl nachdem das New Safe Confinement über den zerstörten Reaktorblock geschoben wurde

Reaktorkatastrophe am Kernkraftwerk Fukushima Daiichi

Der Reaktorunfall in Fukushima vom 11. März 2011 wurde wie die Havarie in Tschernobyl der INES-Stufe 7 zugeordnet. Aus radiologischer Sicht unterscheiden sich die beiden Ereignisse allerdings. In Fukushima betrug die Menge der freigesetzten Radioaktivität nach aktuellen Schätzungen bei etwa zehn Prozent von der in Tschernobyl. Auch die Fläche, über die sich die Radioaktivität verteilte, war kleiner. Die meisten der leicht flüchtigen Radionuklide Iod-131, Cäsium-134 und Cäsium-137 trug der Wind in Richtung Pazifik.

Zunächst war die INES-Einstufung deswegen auf eine 6 hinausgelaufen. Die Einstufung wurde schlussendlich aber angehoben, da es sich um drei Reaktoren mit einer INES 6-Einstufung handelte. Die Stufe 7 in Fukushima bezieht sich deshalb nicht auf einen einzelnen Reaktor, sondern auf die gesamte Anlage. 

Zerstörte Reaktorblöcke am japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi
© TEPCO
Foto zerstörter Reaktorblöcke am KKW Fukushima Daiichi

Welche Aufgaben hat ein INES-Officer?

Wenn es in Deutschland zu einem meldepflichtigen nuklearen Ereignis kommt, muss der Betreiber der Anlage die zuständige Aufsichtsbehörde über den Vorfall informieren. Die zuständige Behörde gibt die Meldung an das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) weiter, das alle meldepflichtigen Ereignisse in Deutschland erfasst und dokumentiert.

Zusammen mit der Meldung nimmt der Betreiber auch eine erste vorläufige INES-Einordnung vor. Diese Einstufung wird durch den INES-Officer eines Landes überprüft. Seit der Einführung von INES werden die Aufgaben in Deutschland von einem GRS-Experten wahrgenommen, der das Bundesumweltministerium persönlich benannt hat. Kommt der INES-Officer zu einem anderen Ergebnis als der Betreiber, informiert er diesen darüber und prüft anschließend, ob er die Einstufung korrigiert hat. Ereignisse ab INES-Stufe 2 muss der INES-Officer an die IAEO nach Wien melden. Die IAEO veröffentlicht die INES-Ereignisse aller teilnehmenden Länder auf ihrer Website.

Außerdem steht der INES-Officer als fachlicher Ansprechpartner für Betreiber und Behörden bereit. Er tauscht mit der INES-Community sich darüber hinaus über die gesammelten Erfahrungen aus der Anwendung von INES aus und ist sowohl an der Weiterentwicklung des Systems als auch bei der nationalen Umsetzung von Änderungen beteiligt.

INES-Einstufung anhand sicherheitstechnischer Aspekte
© GRS
Tabellarische Übersicht der INES-Einstufungen