In eine strahlende Zukunft? Sicherheitstechnische Hintergründe zu Frankreichs neuesten energiepolitischen Entscheidungen
Präsident Macrons Ausführungen sind vor dem Hintergrund zu sehen, dass Frankreich im Zuge des Green Deals der EU bis 2050 klimaneutral werden muss. Wie die anderen EU-Staaten auch steht Frankreich damit vor der Herausforderung, die fossilen Brennstoffe weitestgehend aus dem Energiemix zu verbannen. Gleichzeitig muss wegen des daraus resultierenden steigenden Strombedarfs – beispielsweise im Verkehrs- oder Industriesektor – mehr Strom produziert werden:
Im Jahr 2020 lag der französische Bedarf bei etwa 450 TWh; demgegenüber standen etwa 530 TWh produzierten Stroms, der Überschuss wurde exportiert. Zieht man davon allerdings die rund 45 TWh ab, die Frankreich zurzeit aus fossilen Brennstoffen generiert, entsteht bis 2050 eine Versorgungslücke von 160 TWh, die es zu schließen gilt – wobei noch nicht einberechnet ist, dass teilweise ältere Stromerzeugungsanlagen bis dahin ersetzt werden müssen.
Erneuerbare und Kernenergie zur Erreichung der Klimaziele
Macron hat nun angekündigt, diese Lücke durch den kombinierten Ausbau der Erneuerbaren und der Kernenergie schließen zu wollen. Frankreich geht damit einen anderen Weg als Deutschland: Hierzulande sollen parallel zum Ausbau der Erneuerbaren Energien übergangsweise Kohle und vor allem Gas als Energiequelle genutzt werden – insbesondere, wenn der Strom aus den Erneuerbaren witterungsbedingt nicht verfügbar ist.
Auf Seite der Erneuerbaren sollen vor der Küste Frankreichs 50 Offshore-Windparks mit einer Kapazität von 40 Gigawatt bis 2050 errichtet werden. Das entspräche einer theoretischen Leistung von fast 350 TWh. Der Ertrag solcher Anlagen fällt allerdings deutlich geringer aus, schließlich läuft kein Windrad durchgängig unter Volllast.
Weiterentwicklung des Europäischen Druckwasserreaktors EPR
Neben den Erneuerbaren setzt Macron vor allem auf die Kernenergie. In seiner Rede vom 10.02.2022 sprach er von der renaissance du nucléaire civil française. Dazu sollen sechs Reaktoren des Typs EPR-2 neu gebaut werden, der Bau von acht weiteren wird geprüft. Bei diesem neuartigen Reaktortyp handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Europäischen Druckwasserreaktors EPR. EPR werden aktuell nur in China betrieben (Taishan 1 und 2), allerdings steht die Inbetriebnahme eines EPR in Finnland (Olkiluoto) kurz bevor, in Frankreich (Flamanville-3) und Großbritannien (Hinkley Point C1 und C2) werden weitere gebaut. Der EPR kommt auf eine Nettoleistung von etwa 1,65 GW, sein Nachfolger wird in derselben Größenordnung liegen.
Die derzeitigen europäischen EPR-Bauprojekte stehen in der Kritik, da Kosten und Zeit um ein Vielfaches höher liegen, als bei Baubeginn geplant war. Mit der neuen Version EPR2 sollen vor allem diese Faktoren verbessert werden. Die Vorfertigung vieler technischer Einrichtungen soll die Planung und den Bau vereinfachen. Zudem sollen die Erfahrungen aus den bisherigen Projekten zur Prozessoptimierung herangezogen werden. Aus auslegungstechnischer Sicht unterscheidet sich der EPR2 vor allem durch zwei Merkmale: Zum einen wird er im Unterschied zum EPR über nur drei Sicherheitsstränge verfügen. Zum anderen soll der EPR2, anders als sein Vorgänger, kein Doppel-Containment mehr aufweisen.
Die Kosten für die sechs Reaktoren sollen laut französischer Regierung bei fast 52 Milliarden Euro liegen, dazu kommen eventuelle Finanzierungskosten von knapp 5 Milliarden Euro.
Langzeitbetrieb bestehender Kernkraftwerke
Neben den geplanten Neubauten möchte Macron zudem ältere Anlagen länger laufen lassen. Oftmals liest man in dem Zusammenhang von einer Laufzeitverlängerung, was aber nicht richtig ist, da in Frankreich keine gesetzliche Altersgrenze für Kernreaktoren besteht. Die staatlich dominierte Elektrizitätsgesellschaft EDF, die alle 56 laufenden Leistungsreaktoren in Frankreich betreibt, gibt an, dass ihre Anlagen für eine Betriebszeit von 40 Jahren ausgelegt sind. Nach jeweils 10 Betriebsjahren sieht das französische Atomgesetz einen sogenannten reéxamen périodique de sûreté vor, vergleichbar der Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) deutscher Kernkraftwerke. Solange diese Prüfung bestanden wird, können die Reaktoren auch weiter betrieben werden.
Für den Langzeitbetrieb des Kraftwerkparks von 50 Betriebsjahren rechnet die Betreiberin mit erforderlichen Auf- und Nachrüstungen im Bereich von insgesamt 50 Milliarden Euro. Wenn die betroffenen Anlagen die Sicherheitsüberprüfungen bestehen, sollen sie vorerst zehn Jahre weiterlaufen, Verlängerungen um jeweils weitere zehn Jahre nach einer erneuten Sicherheitsüberprüfung sind ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Im Prinzip können sämtliche in einem Kernkraftwerk eingesetzten technischen Einrichtungen ausgetauscht werden, wenn durch die Beanspruchungen aus dem Betrieb (mechanische und thermische Wechselbeanspruchungen, Neutronenbestrahlung etc.) sicherheitsrelevante Alterungsphänomene (bspw. Ermüdung, Versprödung, Korrosion) auftreten. Bei großen Komponenten, z. B. dem Reaktordruckbehälter und dem Sicherheitsbehälter, stellt sich dabei allerdings die Frage nach der Wirtschaftlichkeit.
Eine Milliarde Euro für die Entwicklung eines Small Modular Reactors
Auch die Entwicklung sogenannter Small Modular Reactors, kurz SMR, will die französische Regierung vorantreiben. Die „Kernkraftwerke im Miniformat“ sollen bei der mittelfristigen Planung einer CO2-armen, dezentralen Stromproduktion in einigen Ländern eine wichtige Rolle spielen. Für die Entwicklung und Inbetriebnahme des SMRs NUWARD will Frankreich bis 2030 500 Millionen Euro bereitstellen, weitere 500 Millionen sind für innovative Reaktorkonzepte eingeplant.
Die Hauptkomponenten sollen alle im Reaktordruckbehälter integriert sein; die passiven Sicherheitssysteme benötigen keine externe Stromversorgung, was einen Zugewinn an Sicherheit bringen soll. Eine abschließende sicherheitstechnische Bewertung steht noch aus.
NUWARD wird von einem Konsortium von CEA, Naval Group, TechnicAtome und Framatome unter Leitung von EDF entwickelt. Zumindest ein Prototyp soll in Frankreich gebaut werden. Da SMRs von der Leistung her deutlich hinter großskalierten Anlagen wie dem EPR2 zurückbleiben, spricht viel dafür, dass die Technologie vor allem exportiert werden soll, um in anderen Ländern Kraftwerke zu ersetzen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden und eine ähnliche kleine Leistung besitzen.