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Abbruch und Neubau eines KKW

Kernenergie weltweit 2023

Was hat sich letztes Jahr in der Kernenergie getan? Welche Entwicklungen lassen sich international beobachten? Wie auch im Vorjahr sind 2022 insgesamt sechs neue Reaktorblöcke ans Netz angeschlossen worden. Demgegenüber stehen fünf stillgelegte Einheiten, allein drei davon in Großbritannien. Dementsprechend stieg die installierte elektrische Nettoleistung um 4.089 MW auf 378.314 MW.

Weltweit werden unterschiedliche Wege hinsichtlich der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung eingeschlagen. Dabei lassen sich grob drei Gruppen unterscheiden: Während die einen den Ausstieg aus der Kernenergie anstreben, lassen andere ihre Kernkraftwerke (KKW) weiterlaufen, wieder andere bauen ihre Kernenergiestrukturen aus oder fördern die Entwicklung neuer Reaktorkonzepte.

Dabei werden unter anderem folgende Argumente ins Feld geführt: So berufen sich Befürworter etwa auf die Zuverlässigkeit, mit der Strom aus Kernenergie geliefert wird, oder verweisen auf die vergleichsweise niedrige CO2-Bilanz während des Betriebs, die im Kampf gegen den Klimawandel als Pluspunkt angesehen wird – unter den Stromerzeugungsformen, bei denen während des Betriebs kein CO2 freigesetzt wird, liegt die Kernenergie laut Daten aus dem Weltklimabericht auf dem zweiten Platz. Gegner nennen beispielsweise das Unfallrisiko, die Endlagerfrage oder den vergleichsweise hohen finanziellen und zeitlichen Aufwand für die Errichtung der Anlagen. Aufgrund der immens gestiegenen Energiekosten wird die Frage der Wirtschaftlichkeit der Kernenergienutzung in vielen Ländern allerdings neu bewertet.

Dieses Dossier bietet einen Überblick über die Kernenergie weltweit. Einmal jährlich wird es aktualisiert und auf der Webseite der GRS veröffentlicht.

Lage weltweit

Übersicht weltweit (Fossile: Kohle, Erdgas, Öl; Erneuerbare: Wasser, Wind, Solar PV, Solar Thermal, Geothermie, Tide, Biokraftstoff)
Übersicht weltweit (Fossile: Kohle, Erdgas, Öl; Erneuerbare: Wasser, Wind, Solar PV, Solar Thermal, Geothermie, Tide, Biokraftstoff)

Weltweit sind zurzeit 422 Kernreaktoren mit einem Durchschnittsalter von rund 31 Jahren in Betrieb, 57 Blöcke werden aktuell gebaut, 204 wurden stillgelegt bzw. werden gegenwärtig rückgebaut. Die Zahlen zum Durchschnittsalter in diesem Text ergeben sich ab dem Tag des kommerziellen Leistungsbetriebs und geben den Stand Oktober 2022 aus dem „World Nuclear Industry Status Report“ (WNISR) wieder; die Anzahl der Reaktorblöcke ist hier und im Folgenden von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) übernommen. Der WNISR kommt auf eine etwas geringere Anzahl betriebener Reaktoren. Das liegt daran, dass hier unterschiedliche Definitionen zugrunde gelegt werden, welche Reaktoren im Modus „Suspended Operation“ laufen. Dabei handelt es sich um Reaktoren, die langfristig heruntergefahren, aber noch nicht endgültig stillgelegt worden sind. Der Großteil dieser Reaktoren steht in Japan. Diese „Long-Term-Outage-Reaktoren“ wurden bei der IAEO letztes Jahr noch als betriebene Reaktoren mitgezählt. So lässt sich auch die Diskrepanz zur Anzahl betriebener Reaktoren im letztjährigen Text Kernenergie weltweit 2022 erklären.

Anteil der Kernenergie an der weltweiten Stromproduktion
© WNISR
Anteil der Kernenergie an der weltweiten Stromproduktion

Der Anteil der Kernenergie an der weltweiten Stromproduktion lag in den letzten Jahren einigermaßen stabil zwischen 10 und 11 %, fiel im letzten Jahr allerdings erstmals seit 40 Jahren unter die 10-Prozent-Marke und ist von seinem Rekordhoch (17,5 % in 1996) ein gutes Stück entfernt.

Die Zahlen in diesem Text bezüglich des Strommixes weltweit und für die jeweiligen Kontinente sind von der Internationalen Energieagentur IEA übernommen und geben den Stand von 2020 wieder. Die Zahlen bezüglich des Strommixes der einzelnen Länder entstammen dem WNISR.

Der prozentuale Rückgang ist nicht darauf zurückzuführen, dass weniger Strom in KKW produziert wird. Vielmehr ist der relative Anteil abgesunken, weil die Erzeugungsanlagen der Erneuerbaren Energien ausgebaut wurden, vor allem aber, weil fossile Kraftwerke auf Basis von Kohle, Öl und Gas absolut gesehen deutlich mehr Strom produzieren als in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten.

Beim Blick auf die sich stetig verändernde weltweite Reaktorlandschaft lassen sich folgende Trends erkennen: Die meisten neuen Reaktorblöcke werden in Asien gebaut, wohingegen die meisten im Rückbau befindlichen Reaktoren in Westeuropa und Nordamerika zu finden sind. Entsprechend ist das Durchschnittsalter der Reaktoren in Asien vergleichsweise niedrig. Neue Reaktorblöcke haben zudem durchschnittlich eine größere Leistung als die der stillgelegten, sodass die installierte Leistung trotz eines zahlenmäßigen Rückgangs an Reaktorblöcken steigen kann. Eine Ausnahme bilden die sogenannten Small Modular Reactors (SMR): Die „KKW im Miniformat“ sollen bei der mittelfristigen Planung einer CO2-armen, dezentralen Stromproduktion in einigen Ländern eine wichtige Rolle spielen.

Anzahl in Betrieb genommener (blau) und abgeschalteter Reaktoren (braun) weltweit
© WNISR
Anzahl in Betrieb genommener (blau) und abgeschalteter Reaktoren (braun) weltweit

In der nachfolgenden Übersicht wird die Situation gegliedert nach Kontinenten (Europa, Amerika, Asien und Afrika) dargestellt. Australien/Ozeanien ist nicht berücksichtigt, da dort keine KKW betrieben werden.

Nach einer kurzen Zusammenfassung werden für jeden Kontinent einige Staaten vorgestellt, die entweder besonders viele Reaktoren betreiben oder bei denen sich neue Entwicklungen ergeben haben oder abzeichnen. Für eine detailliertere Auflistung aller Staaten sei auf das Power Reactor Information System (PRIS) der IAEO und auf den World Nuclear Industry Status Report verwiesen.

Anmerkung: Anders als im Vorjahr fällt die Russische Föderation bei der IEA gemeinsam mit den zentralasiatischen Republiken, Aserbaidschan und Georgien unter die neue Rubrik Eurasien. Die Zahlen zum europäischen Strommix sind daher ohne die russischen Werte, die stattdessen für Asien berücksichtigt sind. Was die Anzahl der Reaktoren angeht, folgen wir der Systematik der IAEA, welche Russland zu Europa zählt.

Europa

Übersicht Europa
Übersicht Europa

In Europa lag der Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion im Jahr 2020 bei circa 21 % der Gesamtstromerzeugung. Insgesamt sind in Europa 171 Reaktoren in Betrieb, das Durchschnittsalter beträgt 34,2 Jahre. 16 Reaktoren werden zurzeit gebaut, 124 befinden sich im Rückbau.

Deutschland

In Deutschland sind seit Beginn 2022 noch drei Reaktoren am Netz: Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim II. Sie sollen bis zum 15. April 2023 im Streckbetrieb noch Strom produzieren und dann stillgelegt werden. Das Durchschnittsalter der drei Reaktoren beträgt 34,5 Jahre. Zusammen produzierten die 3 KKW im letzten Jahr 6,1 % des Stroms zur öffentlichen Stromversorgung.

Doch KKW sind nicht die einzigen Nuklearanlagen in Deutschland. So dürfen die sechs zurzeit laufenden Forschungsreaktoren weiter betrieben werden. Gleiches gilt für die sogenannten Anlagen der nuklearen Ver- und Entsorgung. Dazu zählen neben den Zwischen- und Endlagern für radioaktive Abfälle die Brennelement-Fertigungsanlage in Lingen und die Urananreicherungsanlage in Gronau.

Westeuropa

Den größten Anteil am Strommix stellt die Kernenergie in Frankreich. 2021 waren es 69 %; wegen verschiedener Probleme mit der Reaktorflotte wird der Wert für 2022 allerdings niedriger ausfallen. Zudem steht Frankreich mit 56 Reaktoren auch in dieser Hinsicht europaweit an der Spitze. Der letzte Reaktor ging jedoch bereits 1999 ans Netz, das Durchschnittsalter beträgt 37,3 Jahre. Im KKW Flamanville wird zurzeit ein neuer Block gebaut. Das Bauvorhaben begann 2007, ursprünglich war eine Fertigstellung bis 2012 geplant. Der Zeitplan wurde jedoch mehrfach verlängert. Die Kosten haben sich seitdem vervielfacht: So ist die Beladung mit Brennstoff derzeit für das erste Quartal 2024 vorgesehen; die Kosten stiegen zuletzt von 12,7 auf 13,2 Milliarden Euro (ursprünglich waren 3,3 Milliarden Euro prognostiziert worden).

Trotzdem soll Kernenergie bei den Klimaschutzplänen Frankreichs weiterhin eine wichtige Rolle einnehmen. So bezeichnete Emanuel Macron bei der Vorstellung des Investitionsplans „France 2030“ die Förderung der Kernenergie als primäres Ziel. Für die Entwicklung und Inbetriebnahme des SMR Nuward sollen bis 2030 eine Milliarde Euro bereitgestellt werden. Gleichzeitig sollen sechs EPRs bzw. EPR-2 gebaut werden, für acht weitere Standorte und Reaktoren sollen ebenfalls Pläne vorgelegt werden. Konkrete Pläne für Anlagen mit einer avisierten Inbetriebnahme zwischen 2035 und 2037 sollen dieses Jahr vorgelegt werden.  Macron kündigte außerdem an, dass die Laufzeit der Reaktoren auf 50 Jahre oder mehr verlängert werden soll – die Gewährleistung eines sicheren Betriebs vorausgesetzt. Zudem versucht Frankreich weiterhin, seine EPR-Technologie zu exportieren.

Auch das Vereinigte Königreich setzt nach wie vor auf Kernenergie – rund 14,8 % des dort produzierten Stroms kommen derzeit aus KKW. Aktuell werden neun Reaktorblöcke betrieben, zwei weitere sind im Bau (Hinkley Point C), 36 Reaktorblöcke befinden sich im Rückbau. Am Standort Sizewell sollen zwei EPR-Blöcke errichtet werden. Die britische Regierung hat daher beschlossen, 700 Millionen Pfund in die Vorbereitung des Standortes Sizewell C zu investieren. Nach dem „Ten Point Plan for a Green Industrial Revolution“ der Johnson-Regierung soll die Kernkraft zukünftig eine wichtige Rolle im Energiemix spielen – darunter explizit auch SMR und Advanced Modular Reactors. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs hat die britische Regierung dieses Ziel auch mit Blick auf die Sicherstellung unabhängiger, heimischer Energieerzeugung weiter konkretisiert: Bis 2050 soll eine nukleare Erzeugungskapazität von bis zu 24 GW erreicht werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die acht AGR-Blöcke (ca. 4,8 GW) aufgrund fortgeschrittener Alterungseffekte im Graphitmoderator bis Ende dieses Jahrzehnts endgültig abgeschaltet werden müssen. Hinsichtlich der Entwicklung von SMR hat beispielsweise der Konzern Rolls-Royce angekündigt, Reaktoren im kleineren Maßstab (derzeit gibt der Hersteller eine voraussichtliche Leistung von 500 MW an) ab den frühen 2030er-Jahren sowohl im Königreich als auch im Ausland zu verkaufen.

Daneben ist vor allem Belgien hervorzuheben, wo sieben Reaktoren mehr als die Hälfte des Strombedarfs des Landes deckten. Allerdings wurde Doel 3 im September 2022 abgeschaltet, Tihange 2 folgt zum 1. Februar 2023. Drei weitere Reaktoren sollen nach jeweils 50 Jahren Betriebslaufzeit in 2025 endgültig abgeschaltet werden. Die beiden jüngsten Blöcke Doel 4 und Tihange 3 sollen jedoch vorbehaltlich einer entsprechenden Genehmigung bis 2036 weiterbetrieben werden – eine entsprechende Vereinbarung zwischen der belgischen Regierung und dem Betreiber Engie Electrabel wurde am 9. Januar 2023 geschlossen. Ein Wiedereinstieg in die Kernenergie ist zudem nicht ausgeschlossen: So sollen 100 Millionen Euro in Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für SMR investiert werden.

In den benachbarten Niederlanden sollen laut neuem Koalitionsvertrag zusätzlich zu dem einen Reaktorblock in Borssele zwei neue gebaut werden; die Regierung stellt dazu fünf Milliarden Euro bereit. Für die Inbetriebnahme der neuen Blöcke wird das Jahr 2035 anvisiert. Mit Blick auf die erforderlichen Untersuchungen geht die Regierung davon aus, dass eine abschließende Standortentscheidung nicht vor Ende 2024 getroffen werden kann. Die Laufzeit des zurzeit einzigen KKWs soll über den bereits verlängerten Zeitraum von 60 Jahren hinaus verlängert werden.

Große Ausbauaktivitäten lassen sich in Westeuropa insgesamt nicht ausmachen; neben Frankreich und Großbritannien wird lediglich Finnland zu den laufenden 4 Blöcken einen weiteren (Olkiluoto 3) zeitnah ans Netz anschließen. Der Reaktorblock wurde Anfang 2023 in Betrieb genommen, der kommerzielle Betrieb steht kurz bevor (Anfang März 2023) und wird das Durchschnittsalter der finnischen Reaktoren auf 35 Jahre drücken. Die Regierung hat zudem angekündigt, die Laufzeit der WWER-440-Blöcke von 50 auf 70 Jahre zu verlängern. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges wurde das bereits begonnene Neubauprojekt eines russischen WWER-1200 am Standort Hanhikivi eingestellt.

Alle laufenden Neubauprojekte in Westeuropa haben gemeinsam, dass sich die ursprünglich kalkulierten Kosten und Bauzeiten massiv erhöht haben.

Mittel- und Osteuropa

2021 produzierten die 15 Reaktoren in der Ukraine 55 % des Gesamtstroms. Trotz der Kriegssituation und damit verbundener sicherheitstechnischer Risikofaktoren wird das Land wohl zumindest mittelfristig an der Kernkraft als wichtigster Stromerzeugungsform festhalten. Am Standort Chmelnyzkyj sollen zwei weitere Blöcke errichtet werden. Vereinbarungen dazu mit dem US-amerikanischen Unternehmen Westinghouse wurden unterzeichnet, bei allen vier Neubauten soll die amerikanische AP-1000-Technologie zum Einsatz kommen. Insgesamt sind neun AP-1000-Reaktoren in der Ukraine geplant. Für die laufenden Reaktoren wurden teilweise Laufzeitverlängerungen genehmigt.

In der Slowakei sollen zusätzlich zu den vier laufenden Reaktoren, die einen Anteil von 52,3 % des Gesamtstroms produzieren, zwei weitere WWER-440 in diesem bzw. im nächsten Jahr den kommerziellen Betrieb aufnehmen.

Ähnliches gilt für Ungarn, das zurzeit knapp die Hälfte seines Stroms aus vier Reaktorblöcken bezieht. Es ist geplant, am Standort Paks zwei WWER-1200 Blöcke zu errichten; die Baugenehmigung für den ersten Block wurde letztes Jahr erteilt, Aushubarbeiten haben begonnen.

Auch in Bulgarien soll ein neuer Reaktorblock gebaut werden. Ein entsprechender Plan wurde 2021 vom Parlament verabschiedet. Er soll die beiden WWER-1000-Reaktoren am Standort Kosloduj ergänzen, die zurzeit rund ein Drittel des Gesamtstroms produzieren.

In Tschechien sind zwei Blöcke mit 1000 MW am Standort Dukovany ausgeschrieben, erste Angebote von EdF, Westinghouse und KHNP sind bereits eingegangen. Am Standort Temelin ist die Errichtung von SMR zeitnah geplant. Derzeit produzieren sechs Reaktorblöcke 36,6 % des tschechischen Stroms.

Polen plant neu in die Kernenergie einzusteigen, der erste Block soll 2033 in Betrieb gehen, bis 2043 sollen fünf weitere folgen. Verträge mit amerikanischen Firmen (Westinghouse und Bechtel) für einen Standort an der Ostsee für den Bau von drei AP-1000 sind geschlossen. Gleichzeitig laufen Verhandlungen mit der koreanischen Firma KHNP zum Bau von APR-1400-Anlagen.

In Belarus ist der erste Reaktorblock seit zwei Jahren in Betrieb, der zweite soll dieses Jahr den kommerziellen Betrieb aufnehmen; in der Türkei wird zurzeit ein KKW mit vier russischen WWER-1200 gebaut. Die Inbetriebnahme soll zwischen 2025 und 2028 erfolgen.

In Russland werden 20 % des Strommixes von 37 Reaktoren produziert, deren Durchschnittsalter bei 29,1 Jahren liegt. Im Laufe der letzten zehn Jahre sind neun neue Reaktoren in Betrieb genommen worden, darunter das schwimmende KKW Akademik Lomonossow. Der Bau von zwei landgestützten SMR in Sibirien wurde begonnen. Weitere Blöcke verschiedenen Typs sind geplant bzw. im Bau (bspw. WWER-TOI oder BREST-300). Zudem ist Russland sehr stark im Ausland aktiv: Neben Ungarn und Belarus plant bzw. realisiert Russland Neubauten beispielsweise in Iran, Türkei, Ägypten, Indien, China oder Bangladesch.

Amerika

Übersicht Amerika
Übersicht Amerika

Im Jahr 2019 lag der Anteil der Kernenergie am Gesamtstrommix auf dem amerikanischen Kontinent bei etwa 15 %. Zur Produktion sind 118 Reaktoren mit einem Durchschnittsalter von 40,1 Jahren in Betrieb. Hier gibt es allerdings ein deutliches Nord-Süd-Gefälle: Während in den USA und Kanada insgesamt 111 Reaktoren laufen, sind es südlich davon gerade einmal sieben. Gebaut werden auf dem amerikanischen Kontinent zurzeit vier Blöcke, im Rückbau befinden sich 47.

In den Vereinigten Staaten sind mit 92 Reaktoren mehr am Netz als in jedem anderen Land der Welt; sie stellten im vorletzten Jahr 19,6 % des Stroms zur Verfügung. Das durchschnittliche Alter beträgt 41,8 Jahre. Dieser Wert wird in den nächsten Jahren wohl noch steigen: Laufzeitverlängerungen eines Großteils der Reaktoren von 40 auf 60 Jahre sind bereits beschlossen, eine weitere Verlängerung auf 80 Jahre ist für sechs Reaktorblöcke schon genehmigt, über 100 Jahre Laufzeit wird zumindest laut nachgedacht. Da allerdings in einigen Fällen die Nachrüstungen, die für solche Laufzeitverlängerungen Voraussetzung sind, zu teuer gewesen wären, wurden etliche Anlagen abgeschaltet, zuletzt der einzige Block des KKW Palisades im Bundesstaat Michigan. In der Energieplanung der Biden-Administration soll Kernenergie eine größere Rolle spielen. So soll die Entwicklung neuer Reaktorkonzepte gefördert werden, vor allem von SMR. Zudem sind amerikanische Firmen wieder zunehmend an Reaktorprojekten (auch SMR) im Ausland interessiert, wie z. B. in Bulgarien, Polen, Rumänien und der Ukraine. Vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise sowie der Klimakrise hat der Bundesstaat Kalifornien die beiden Blöcke im KKW Diablo Canyon nicht abgeschaltet und strebt nun eine Verlängerung an.

Fast 15 % des Strommixes produzieren die 19 CANDU-Reaktoren (Druckschwerwasserreaktoren, Durchschnittsalter 39,3 Jahre) in Kanada. Auch der nördliche Nachbar der USA setzt auf Laufzeitverlängerungen. Keine neuen Reaktorblöcke sind noch im Bau, der Standort für einen ersten kommerziellen SMR steht allerdings schon fest. Die Fertigstellung ist Ende dieses Jahrzehnts geplant.

Südlich der USA werden in lediglich drei Staaten Reaktoren betrieben: Ein CANDU und zwei Schwerwasserreaktoren nach einem Design des früheren deutschen Herstellers KWU in Argentinien und jeweils zwei in Mexiko (SWR des amerikanischen Herstellers GE) und Brasilien (2-Loop-Anlage von Westinghouse und DWR nach KWU-Design). Der Anteil am Strommix liegt in diesen Ländern zwischen 2,4 und 7,2 %. In Argentinien wird zurzeit ein SMR gebaut, der Vertrag zum Bau eines Hualong-1 am Standort Atucha wurde mit China Anfang Februar 2022 unterzeichnet; in Brasilien wurden die Arbeiten an einem dritten Block in Angra nach sechs Jahren Unterbrechung wieder aufgenommen (Referenzanlage Angra-2).

Asien

Übersicht Asien
Übersicht Asien

In Asien kommt der Anteil der Kernenergie an der gesamten Stromproduktion auf gerade einmal 6 %. In acht Länder stehen 132 Reaktoren, von denen jedoch zurzeit nur 115 betrieben werden. Die Differenz ergibt sich vor allem aus den 17 japanischen Reaktoren, die seit dem Reaktorunfall von Fukushima heruntergefahren sind. Das durchschnittliche Alter der betriebenen Reaktoren beläuft sich auf 16,4 Jahre. Zudem werden hier 35 Blöcke neu gebaut. Dem gegenüber stehen 33 Reaktoren, die sich im Rückbau befinden. Auf keinem anderen Kontinent werden auch nur annähernd so viele neue KKW gebaut. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anteil Asiens an der Weltbevölkerung bei über 50 % liegt und sich der Energiebedarf in den letzten Jahrzehnten auf keinem Kontinent so vervielfacht hat wie hier. Entsprechend viele sonstige (insbesondere fossil befeuerte) Kraftwerke wurden errichtet, was auch den relativ geringen Anteil der Kernenergie am Strommix erklärt.

Fernost

5 % beträgt der Anteil der Kernenergie am Gesamtstrommix in China. Dafür sind 57 Reaktoren mit einem Durchschnittsalter von gerade einmal 9,2 Jahren verantwortlich. Zwei neue Reaktoren wurden letztes Jahr in Betrieb genommen, 18 neue Reaktorblöcke verschiedener Typen werden zurzeit gebaut, darunter neben diversen DWR-Typen unter anderem auch Hochtemperaturrektoren, schnelle Brüter oder SMR. Für Chinas Bemühungen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, spielt neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien die Kernenergie eine wichtige Rolle. Das wird auch im aktuellen 5-Jahres-Plan noch einmal bekräftigt, demzufolge weitere Reaktorneubauten vorgesehen sind. China versucht zudem in neue Märkte vorzudringen, um seine Technologie und Kompetenzen zu verkaufen.

In Südkorea ist der Anteil der Kernenergie an der gesamten Stromproduktion ein ganzes Stück höher: 28 % produzieren die aktuell 25 laufenden Reaktoren. Die neue Regierung hat den geplanten Ausstieg rückgängig gemacht, neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien soll die Kernenergie dabei helfen, die Klimaziele des Landes zu erreichen: Der Anteil am Strommix soll bis 2036 auf 35 % erhöht werden. Ein Reaktor wurde letztes Jahr ans Netz angeschlossen, drei weitere sind zurzeit im Bau. Südkorea bemüht sich zudem in verschiedenen Ländern darum, in Bauprojekte mit einzusteigen: In den Vereinigten Arabischen Emiraten haben bereits zwei Anlagen den kommerziellen Betrieb aufgenommen, zwei weitere stehen kurz davor; Gespräche mit beispielsweise Ägypten, Polen, Tschechien oder Uganda laufen.

Zu den Ländern, deren Kernindustrie durch Fukushima stark beeinflusst wurde, gehört natürlich auch Japan. Vor dem Unglückstag liefen dort 54 Reaktoren, die fast 30 % des Strombedarfs deckten. Diese wurden nach der Katastrophe zunächst alle heruntergefahren, 17 davon sind mittlerweile wieder am Netz. Dem gegenüber stehen 27 Reaktoren, die sich zurzeit im Rückbau befinden; der aktuelle Anteil am Strommix beläuft sich auf rund 7,2 %. Allerdings plant die aktuelle Regierung, den Anteil bis 2030 wieder auf 20 bis 22 % zu steigern. Zudem verabschiedete sie im Dezember 2022 eine Richtlinie, die eine Verlängerung der Laufzeit bestehender Reaktoren über die bisherige Begrenzung auf 60 Jahre hinaus vorsieht. Langfristig sollen Reaktoren der nächsten Generation gebaut werden, um alte Kraftwerke zu ersetzen.

Taiwan hat nach den Eindrücken der Ereignisse aus Fukushima den Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen. Die verbleibenden drei Reaktoren sollen noch bis 2025 Strom erzeugen, bevor sie stillgelegt werden; 2021 produzierten sie 10,8 % des Stroms im Land.

Anders sieht es in Indien aus, wo zusätzlich zu 22 laufenden Reaktoren acht weitere Blöcke (u. a. vier WWER-1000 und ein schneller Brüter) gebaut werden. Der Anteil von 3,2 % am Gesamtstrommix wird also voraussichtlich steigen. Bei den Neubauten handelt es sich um indische Eigenentwicklungen auf Basis des CANDU sowie Reaktorblöcke russischen Typs. Geplant ist außerdem der Neubau von sechs Reaktorblöcken westlicher Bauart.

Naher und Mittlerer Osten

Auch in Pakistan wird die Kernenergie zur Stromerzeugung genutzt: sechs Reaktorblöcke decken hier 10,6 % des Strombedarfs. In den letzten beiden Jahren wurde am Standort Karachi jeweils ein Hualong-1 in Betrieb genommen. Im Iran läuft seit rund elf Jahren der erste Reaktorblock, auch hier wird ein weiterer gebaut.

In Asien gibt es auch eine Reihe von Ländern, die aktuell in die Kernenergie einsteigen. Dazu zählen zum einen Bangladesch, wo zurzeit zwei Reaktorblöcke russischer Bauart gebaut werden, zum anderen die Vereinigten Arabischen Emirate: seit 2020 nahm dort jährlich ein Reaktor den Betrieb auf, ein weiterer soll dieses Jahr folgen.

Afrika

Übersicht Afrika
Übersicht Afrika

In Afrika werden lediglich zwei Reaktoren betrieben, die einen Anteil am Gesamtstrommix von rund 1 % produzieren. Sie stehen beide in Südafrika, wo Kernenergie auf einen Anteil von 6 % am Strommix kommt. Beide Anlagen wurden zeitgleich gebaut und gingen 1984 bzw. 1985 ans Netz, woraus sich ein Durchschnittsalter von 37,9 Jahren ergibt. Weitere Bauprojekte sind in Südafrika zurzeit nicht geplant.

Da die Stromnetze auf dem Kontinent in den nächsten Jahren jedoch ausgebaut werden müssen, könnte die Kernenergie hier zukünftig eine größere Rolle spielen. Der Kontinent ist dadurch auch für ausländische Investoren interessant, einige Länder (bspw. Ghana, Kenia, Uganda) beschäftigen sich konkret damit, wie ein Einstieg in die Kernenergie zu realisieren ist.

In Ägypten sollen am Standort El Dabaa vier russische Reaktorblöcke (WWER-1200) gebaut werden. Für die ersten beiden Blöcke wurde die Baugenehmigung 2022 erteilt.