© wikimediacommons / Sebastian Suchanek und ©wikimediacommons / thomas springer
Abschaltung der letzten KKW in Deutschland: ein kurzer (sicherheits-)technischer Rückblick

Zur Abschaltung der letzten KKW in Deutschland: ein kurzer (sicherheits-)technischer Rückblick

Am 15. April 2023 werden die letzten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Damit endet nach mehr als 60 Jahren die Geschichte der Stromproduktion aus Kernkraft: Im Juni 1961 speiste das Versuchsatomkraftwerk Kahl erstmalig mittels Kernenergie erzeugten Strom in das westdeutsche Verbundnetz ein; mit dem Kernkraftwerk Rheinsberg folgte fünf Jahre später das erste wirtschaftlich genutzte Kernkraftwerk der DDR. Die sechs Jahrzehnte der Kernkraftnutzung waren anfangs von Euphorie, dann zunehmend von Skepsis und Ablehnung geprägt. Dieser Beitrag legt seinen Schwerpunkt allerdings weniger auf gesellschaftliche oder politische, sondern auf (sicherheits-)technische Aspekte.

Die drei letzten deutschen KKW: Zahlen, Daten, Fakten

Nach einigen Monaten im Streckbetrieb werden nun auch die drei Kernkraftwerke (KKW) Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 abgeschaltet. Mit dem Abschalten dieser sogenannten Konvoi-Anlagen, die in den späten 1980er Jahren errichtet wurden, endet die gut sechs Jahrzehnte währende Stromerzeugung aus Kernenergie in Deutschland. In dieser Zeit wurden 37 KKW kommerziell betrieben, der überwiegende Teil davon Druck- und Siedewasserreaktoren; bis Ende 2022 produzierten sie knapp 5.600 Terrawattstunden (TWh) elektrischen Strom. Dies entspricht in etwa dem 10-fachen des aktuellen jährlichen Gesamtverbrauchs in Deutschland (lt. Umweltbundesamt ca. 550 TWh in 2022).

In den 1990er-Jahren wurden jährlich zwischen 160 und mehr als 170 TWh aus Kernenergie produziert – zum Vergleich: Großstädte wie Köln oder München verbrauchen heute zwischen 2 und 3 TWh pro Jahr. Während der Anteil der Kernenergie am Strommix in den 1990er-Jahren noch bei rund 30 Prozent lag, waren es 2022 mit noch drei laufenden KKW lediglich 6,5 Prozent. Seit 2011 ging die Stromproduktion aus Kernenergie kontinuierlich zurück, nachdem sich die damalige Bundesregierung, getragen von einem breiten gesellschaftlichen Konsens, entschieden hatte, endgültig aus der Kernenergie auszusteigen.

Die Anfänge: Atomeuphorie, Atomministerium und Fehlschläge

Angetrieben von der weltweiten Euphorie für die Kernkraft als saubere und zuverlässige Energieform in den 1950er-Jahren – exemplarisch hierfür waren beispielsweise die „Atoms-for-Peace“-Rede des damaligen US-Präsidenten Dwight D. Eisenhower vor der UN-Vollversammlung 1953 oder die Gründung der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA in 1957 – konkretisierten sich auch in der Bundesrepublik Deutschland die Planungen, in die Kerntechnik einzusteigen. Diese führten zur Gründung des Ministeriums für Atomfragen, mit dessen Leitung der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer den ersten Atomminister Franz-Josef Strauß betraute.

Mit dem Versuchsatomkraftwerk Kahl nahm nach nur dreieinhalb Jahren Bauzeit Anfang 1962 das erste KKW in Deutschland den kommerziellen Betrieb auf. Es handelte sich dabei um einen Siedewasserreaktor mit einer elektrischen Leistung von 15 Megawatt (MW). In den folgenden Jahren wurden unterschiedliche Reaktortypen in Deutschland errichtet, die teilweise auf eigenen Entwicklungen beruhten. Dazu zählen beispielsweise ein schwerwassergekühlter Druckwasserreaktor (MZFR Karlsruhe), ein Kugelhaufenreaktor (AVR Jülich), ein Druckröhrenreaktor (KKW Niederaichbach), ein Heißdampfreaktor (HDR Karlstein) und ein natriumgekühlter Brutreaktor (SNR-300 in Kalkar).

Die vorgenannten Reaktorkonzepte wurden aus unterschiedlichen Gründen in Deutschland nicht weiterverfolgt, wobei teilweise auch (sicherheits-)technische Aspekte eine wesentliche Rolle spielten. So war der THTR-300 nur etwa zwei Jahre im kommerziellen Betrieb, der sogenannte Schnelle Brüter in Kalkar wurde zwar nach rund 12-jähriger Projektlaufzeit 1985 fertiggestellt, ging jedoch nie in Betrieb. Einige der Konzepte wurden – wenn auch Jahrzehnte später – im Ausland wieder aufgegriffen; so nahm beispielsweise in China Ende 2021 ein Kugelhaufenreaktor den kommerziellen Betrieb auf.

Leichtwasserreaktor-Technologie aus den USA

Stattdessen übernahm man die aus den USA importierte Leichtwasserreaktor-Technologie und entwickelte diese weiter. Mit dem Fokus auf die Leichtwasserreaktoren begann in Deutschland aus sicherheitstechnischer Perspektive eine Erfolgsgeschichte für die Kerntechnik. So genießen die deutschen Anlagen und die dazugehörige Sicherheitskultur in der internationalen Fachwelt ein hohes Ansehen. Meldepflichtige Ereignisse mit einer signifikanten sicherheitstechnischen Bedeutung hat es in Deutschland verhältnismäßig wenige gegeben, keines dieser Ereignisse wurde auf der siebenstufigen internationalen Bewertungsskala (INES) der IAEA als „ernster Störfall“ (Stufe 3) oder höher eingestuft.

Ein weiterer Indikator ist die hohe Verfügbarkeit der Anlagen. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffenden Anlagen möglichst selten und gegebenenfalls nur für möglichst kurze Zeit wegen technischen Schäden oder aufgrund sicherheitstechnisch relevanter Ereignisse vom Netz gehen müssen. Hier stechen gerade die drei in Deutschland zuletzt noch betriebenen Konvoi-Anlagen heraus: Im Power Reactor Information System der IAEA wird diese bei allen drei Anlagen mit deutlich über 90 Prozent angegeben – die Verfügbarkeit im langjährigen internationalen Durchschnitt liegt zwischen 80 und 85 Prozent. Zudem waren deutsche Anlagen 23-mal Weltmeister in der Stromproduktion. Dieser Titel konnte in den letzten Jahren nicht mehr erreicht werden, da die ursprünglich vor allem für die Deckung der Grundlast konzipierten Anlagen zunehmend mit sogenannten Lastfolgen betrieben werden mussten, um im Netz Schwankungen aus der Einspeisung der erneuerbaren Energien auszugleichen. Die Anlagen Grohnde und Isar-2 sind bis heute die einzigen weltweit, die eine Strommenge von mehr als 400 TWh erzeugt haben.

Der gute (sicherheits-)technische Ruf der KWU-Anlagen (Kraftwerksunion, heute Framatome) schlug sich auch in Exporten in andere Länder nieder: Block 1 und 2 des KKW Atucha (Argentinien) gingen 1974 beziehungsweise 2016 in Betrieb, Block 2 des brasilianischen KKW Angra 2001, Block 3 soll 2026 folgen. In Europa stehen Anlagen deutschen Designs in Gösgen (Schweiz), Trillo (Spanien) und Borssele (Niederlande) – die 60 Jahre Laufzeit bis 2033 der Letztgenannten, die noch der DWR-Generation vor den Vor-Konvoi-Anlagen angehört, soll Plänen der derzeitigen niederländischen Regierung zufolge noch einmal verlängert werden.

Blickt man auf die vergangenen Jahrzehnte des KKW-Betriebs zurück, so lassen sich vor allem drei ganz unterschiedliche Gründe für die aus sicherheitstechnischer Sicht positive Bilanz ausmachen: die sicherheitstechnische Auslegung der Anlagen und ein sicherheitsgerichteter Betrieb, eine gründliche und effektive Aufsicht und starke Fachgremien sowie das Bestreben, die kerntechnische Sicherheit durch die Auswertung der weltweiten Betriebserfahrung und Sicherheitsforschung kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Design und sicherheitstechnische Auslegung

Wurden die ersten Anlagen in Deutschland (Kahl, Lingen, Gundremmingen A, Obrigheim) noch wesentlich nach US-Designs gebaut, so setzte sich mit dem KKW Stade in den frühen 1970er-Jahren das deutsche Design durch – in dieser Zeit wurde mit Biblis A unter anderem die weltweit erste 1.300-MW-Anlage errichtet. Die Anlagen zeichnete nicht nur eine starke Sicherheitsphilosophie aus, auch beispielsweise die frühzeitige Verwendung bestimmter Materialien machte sich bezahlt: So mussten in Deutschland lediglich im nach US-amerikanischen Vorbild designten KKW Obrigheim die Dampferzeuger ausgetauscht werden; in anderen Ländern ist es durchaus üblich, diese Großkomponenten nach etwa 20 Jahren auszutauschen.

Zudem wurden KKW in Deutschland nicht in Serie gebaut, wie es beispielsweise in Frankreich üblich ist. Somit konnten die Erfahrungen aus dem Bau und Betrieb der bereits bestehenden Anlagen bei der Konzeption der nachfolgenden übertragen werden. Lediglich die Konvoi-Anlagen wurden als eine Art Mini-Serie konzipiert, auch hier gab es jedoch kleinere Anpassungen. Gerade die von der damaligen KWU errichteten Anlagen zeichnet eine im Vergleich zu anderen Herstellern robuste sicherheitstechnische Auslegung aus: Sie verfügen beispielsweise über ein viersträngiges Sicherheitssystem, mit dem Ereignisse beherrscht werden, bei denen gleichzeitig ein Strang in Reparatur und ein weiterer nicht verfügbar ist. Außerdem beherbergen sie je Block vier große und vier kleine Notstromdiesel – bei vergleichbaren anderen westlichen Anlagen sind es nur zwei Notstromdiesel je Block. Neben der stetigen Verbesserung der Designs bot der Verzicht auf den Bau vieler identischer Anlagen auch einen Vorteil, der an denen aktuellen Problemen zahlreicher französischer Anlagen deutlich wird: Dort hat es erst der Bau in Serie möglich gemacht, dass Fehler in bestimmten Bauteilen gleich mehrere Anlagen gleichzeitig betreffen.

Starke institutionelle Sicherheitskultur

Ein weiterer Faktor für das hohe Sicherheitsniveau der deutschen KKW ist die institutionelle Sicherheitskultur in Deutschland, die sich in Form unterschiedlicher Behörden, Fachgremien und Organisationen etabliert hat. Zum einen spielt hier die föderale Struktur der Bundesrepublik eine Rolle: Durch sie bestehen mit der unmittelbaren Aufsicht durch die Landesbehörden und der durch das Bundesumweltministerium wahrgenommenen Bundesaufsicht zwei Ebenen behördlicher Kontrolle. Zum anderen hat auch der fachliche Austausch in verschiedenen Gremien maßgeblich zum Ziel einer kontinuierlichen Verbesserung der Sicherheit beigetragen.

So wurde bereits 1958 mit der Reaktor-Sicherheitskommission (RSK) ein Expertengremium gegründet, das die Bundesregierung berät, inwieweit die Betreiber kerntechnischer Anlagen die Anforderungen an die erforderliche Vorsorge (Schadens- und Risikovorsorge) durch entsprechende technische Einrichtungen, Organisation und Management erfüllen. Bei der Besetzung wird Wert darauf gelegt, dass durch die Einbindung von Wissenschaft, Gutachterorganisationen sowie Herstellern und Betreibern der aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik und die Expertise aus der kerntechnischen Praxis gebündelt und der direkte fachliche Austausch gefördert werden.

1972 wurde nach dem Vorbild des Deutschen Dampfkessel-Ausschusses der Kerntechnische Ausschuss (KTA) geründet. Der Ausschuss, in dem Fachleute von Behörden, Gutachterunternehmen, Betreibern und Herstellern zusammenkommen, definiert detaillierte sicherheitstechnische Anforderungen, bei deren Erfüllung die nach dem Atomgesetz erforderliche Schadensvorsorge gegeben ist. Vergleichen lassen sich die KTA-Regeln, die das kerntechnische Regelwerk mit den entsprechenden gesetzlichen Regelungen untermauern, mit den deutschen DIN-Normen.

1977, also zur Hochphase des KKW-Baus, wurde mit der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) eine unabhängige technisch-wissenschaftliche Forschungs- und Sachverständigenorganisation gegründet, die seitdem als Deutschlands zentrale Fachorganisation auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit agiert: Einerseits als Gutachterin für den Bund, andererseits entwickelt sie im Rahmen ihrer Grundlagen- und angewandten Sicherheitsforschung unter anderem Rechencodes und Methoden für Sicherheitsbewertungen durch Gutachterorganisationen wie die TÜVe.

Lessons Learned von Ereignissen im In- und Ausland

Als dritter Faktor lässt sich die in Deutschland etablierte Fehlerkultur anführen. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die durch die GRS durchgeführten Analysen. Dabei werden sicherheitstechnisch relevante Ereignisse in kerntechnischen Anlagen im In- und Ausland betrachtet. Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen – oft auch in sogenannten Weiterleitungsnachrichten formuliert – bildeten die Grundlage für zahlreiche sicherheitstechnische Verbesserungen, die auch in konkreten technischen Entwicklungen und entsprechenden Nachrüstungen mündeten.

So wurden nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in Deutschland sowohl das gefilterte Venting (sogenanntes Wallmann-Ventil, benannt nach dem damaligen Umweltminister Walter Wallmann), welches die gefilterte Druckentlastung des Sicherheitsbehälters im Notfall ermöglicht, als auch die sogenannten Rekombinatoren entwickelt, mit deren Hilfe gasförmiger Wasserstoff mit umgebendem Sauerstoff zu Wasser oxidiert wird, wodurch Wasserstoffexplosionen bei Unfällen mit Kühlungsausfall vermieden werden können – beides sicherheitstechnische Innovationen, die den Verlauf und die radiologischen Auswirkungen des Unfalls von Fukushima hätten erheblich abmildern können, wären sie in den betreffenden Anlagen bereits umgesetzt worden. Rekombinatoren aus Deutschland wurden in mehr als 200 Anlagen weltweit geliefert, um das Sicherheitsniveau vor Ort zu erhöhen. Als weitere Ereignisse, aus denen Verbesserungspotenzial für deutsche Anlagen abgeleitet werden konnte, sind für das Inland beispielsweise die Wasserstoffexplosion im KKW Brunsbüttel (2001), die rund 8.000 falsch gesetzten Dübel in den beiden Blöcken des KKW Biblis (2006) oder der Trafobrand im KKW Krümmel (2007) zu nennen.

Wichtige Impulse für eine weitere Verbesserung der kerntechnischen Sicherheit gingen von Deutschland auch auf der Ebene internationaler Organisationen und Gremien aus. So waren Fachleute aus Deutschland – auch aufbauend auf entsprechenden Forschungsarbeiten der GRS – beispielsweise für die IAEA maßgeblich an der Entwicklung von Empfehlungen für sogenannte „Severe Accident Management Guidelines“ beteiligt.

Kernenergienutzung in der DDR

Auch in der DDR wurden Kernkraftwerke an den Standorten Rheinsberg und Greifswald betrieben. Dabei handelte es sich um Reaktortypen sowjetischer Bauart, sogenannte Wasser-Wasser-Energie-Reaktoren (WWER). In Rheinsberg speiste ab 1966 ein WWER-70 mit einer Leistung von 62 MW ins Netz ein, sechs Jahre später folgte ein DWR der ersten Generation in Greifswald. Hier wurden insgesamt vier WWER-440-Blöcke betrieben, ein weiterer (Block 5) befand sich zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung in der Inbetriebsetzung, drei weitere Blöcke waren im Bau.

Die Anlagen in Greifswald und Rheinsberg wurden 1990 wegen Sicherheitsbedenken vom Netz genommen. Grundlage für die Stilllegung der Blöcke 1 bis 4 des KKW Greifswald war unter anderem die Sicherheitsbeurteilung der GRS.

Ausblick

Auch nach der Abschaltung der letzten drei deutschen KKW braucht es noch langfristig starke sicherheitstechnische Kompetenzen im Bereich der Kerntechnik. Die Gründe hierfür sind vielfältig. In Deutschland selbst muss die Sicherheit des Rückbaus aller stillgelegten KKW und der Betrieb der Zwischenlager sichergestellt werden – Letzteres wohl noch über viele Jahrzehnte hinweg. Außerdem werden in Deutschland weiterhin Forschungsreaktoren betrieben. Angesichts der zahlreichen ausländischen KKW, die in der europäischen Nachbarschaft betrieben werden, besteht eine langfristige Aufgabe auch darin, den Notfallschutz in Deutschland auf höchstem Niveau aufrechtzuerhalten. Dies bedingt eine kontinuierliche Sicherheitsforschung – etwa, wenn es darum geht, mögliche Unfälle und ihre radiologischen Konsequenzen für Deutschland möglichst realitätsnah simulieren zu können – ebenso wie eine möglichst gute Kenntnis über die konkrete technische Auslegung dieser Anlagen. Dieser Aspekt gewinnt durch die Pläne einer ganzen Reihe von europäischen Staaten, neue KKW zu bauen oder die Laufzeiten bestehender zu verlängern, noch an Bedeutung, zumal dort teilweise auch neue Konzepte verwirklicht werden sollen. Und schließlich bedarf es einer starken technisch-wissenschaftlichen Kompetenz, wenn von Deutschland auch in Zukunft relevante Impulse für die Verbesserung der Sicherheit ausgehen sollen – in Form von sicherheitsfördernden Regeln und Empfehlungen, wie sie auf Ebene der IAEA oder der EU formuliert werden, aber gegebenenfalls auch in Form konkreter technischer Konzepte für sicherheitsgerichtete Nachrüstungen.