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Junge Frau arbeitet in einem Kontrollraum

Forschungsreaktoren in Deutschland: Diese Reaktoren dürfen in Deutschland auch nach 2023 weiter betrieben werden

Deutschland hat am 15. April 2023 seine drei letzten Leistungsreaktoren abgeschaltet. Damit ist in Deutschland die Ära der kommerziellen Stromerzeugung aus Kernenergie beendet. Eine ganze Reihe von Forschungsreaktoren ist allerdings weiterhin in Betrieb. Wir beleuchten in diesem Beitrag, warum das so ist, was sie von kommerziellen Reaktoren unterscheidet und welche Aufgaben die GRS in diesem Zusammenhang wahrnimmt.

Forschungsreaktoren sind anders als kommerzielle Leistungsreaktoren nicht für die Produktion von Strom ausgelegt. Auch in ihrer Größe, Konstruktion und der Betriebsweise unterscheiden sie sich erheblich von ihren großen Geschwistern. Ihre thermische Leistung ist häufig so gering, dass manche von ihnen auch als Nullleistungsreaktoren bezeichnet werden. Da diese Anlagen im Vergleich zu Kernkraftwerken nur sehr geringe Mengen an Kernbrennstoff benötigen, fällt auch entsprechend weniger hochradioaktiver Abfall an.

Von den Forschungsreaktoren abzugrenzen sind Prototypreaktoren, mit denen die Machbarkeit neuer Reaktorkonzepte geprüft wird.

Einsatzmöglichkeiten von Forschungsreaktoren 

Forschungsreaktoren dienen in erster Linie der Grundlagenforschung, der Aus- und Weiterbildung und der Produktion von radioaktiven Medikamenten, sogenannte Radiopharmaka. Während bei der Stromproduktion die bei der Kernspaltung entstehende Wärmeenergie genutzt wird, geht es beim Einsatz von Forschungsreaktoren um die bei der Kernspaltung freiwerdenden Neutronen. Manche von Ihnen bezeichnet man deshalb auch als „Neutronenquellen“.

Forschung: Wie kann man Neutronen einfangen und nutzen?

Radioaktive Stoffe – fachsprachlich auch als Radionuklide bezeichnet – haben die Eigenschaft, dass ihre Atomkerne instabil sind und nach einer bestimmten Zeit unter Aussendung ionisierender Strahlung zerfallen. Den Zeitraum, in dem sich die ursprüngliche Menge eines Radionuklids durch dessen Zerfall auf die Hälfte reduziert, nennt man Halbwertszeit. Bei der kontrollierten Kernspaltung in Kernreaktoren nutzt man Neutronen, um Atomkerne gezielt instabil zu machen und damit zum Zerfall zu bringen. Dabei werden neben den Spaltprodukten weitere Neutronen freigesetzt, die dann in einer Kettenreaktion andere Atomkerne spalten. 

Ein Neutron wird für die Aufrechterhaltung einer stabilen Kettenreaktion, d. h. die Spaltung eines weiteren Uran-Atoms, benötigt. Dafür muss dieses abgebremst werden, da nur Neutronen geringer Energie zu einer Spaltung von Uran-235 führen. Dafür kommt ein sogenannter Moderator – häufig Wasser oder Polyethylen – zum Einsatz. Durch die Zusammenstöße mit den Atomen des Moderators verlieren die Neutronen an Bewegungsenergie. 

In einem Forschungsreaktor werden die weiteren Neutronen durch Strahlrohre zu verschiedenen Experimentierplätzen geleitet. Häufig werden dabei in den verschiedenen Strahlrohren Neutronen unterschiedlicher Energien ausgeleitet, da für viele Experimente monoenergetische Neutronen benötigt werden. Die Neutronen werden dann, abhängig vom Forschungsschwerpunkt, für unterschiedliche Arten von Experimenten genutzt. 

Training: Unterricht im Forschungsreaktor

Forschungsreaktoren, die vorwiegend zur Aus- und Weiterbildung genutzt werden, werden auch als Unterrichtsreaktoren bezeichnet. Die meisten von ihnen sind an Hochschulen angesiedelt. In Deutschland sind aktuell noch vier Unterrichtsreaktoren im Einsatz. Vorwiegend werden die Reaktoren in der Lehre technischer und naturwissenschaftlicher Fächer oder beispielweise der Medizinphysik eingesetzt. Aber auch Schulen und die interessierte Öffentlichkeit besuchen Unterrichtsreaktoren, um etwas über die Funktionsweise von Kernreaktoren zu lernen.

Medizin: Wie werden Radiopharmaka in Forschungsreaktoren hergestellt?

Gewisse Forschungsreaktoren sind auf die Produktion von radioaktiven Nukliden für medizinische Anwendungen spezialisiert. Diese Nuklide werden vor allem für diagnostische Zwecke und teilweise zur Behandlung von Erkrankungen (z.B. Krebs) genutzt.

Die Herausforderung beim Herstellen solcher Radionuklide liegt darin, dass diese vergleichsweise kurze Halbwertszeiten aufweisen und daher „just in time“ produziert werden müssen.

Deutschlands Forschungsreaktoren: Welche Anlagen sind aktuell in Betrieb?

Deutschland verfügt aktuell über sechs Forschungsreaktoren: Die Forschungs-Neutronenquelle FRM II der Technischen Universität München, der Forschungsreaktor TRIGA Mark II der Universität Mainz sowie die vier Unterrichtsreaktoren SUR Stuttgart, SUR Ulm, SUR Furtwangen und AKR-2 Dresden. Die Forschungsreaktoren sind an die jeweiligen Hochschulen angeschlossen und werden auch über diese und die jeweiligen Bundesländer finanziert. 

Die deutschen Forschungsreaktoren im Detail

FRM II. Einer der bekanntesten deutschen Forschungsreaktoren ist die Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) der Technischen Universität München (TUM). Die auf dem Forschungscampus Garching gelegene Anlage ist die neuste und stärkste Neutronenquelle Deutschlands. Bei einer thermischen Leistung von 20 Megawatt (MW) werden aus Uran pro Sekunde und Quadratzentimeter rund 100 Billionen freie Neutronen erzeugt. Die Neutronen des seit 2005 betriebenen Reaktors werden in Wissenschaft, Medizin und Industrie genutzt. Spezialisiert ist der FRM II auf Neutronenstreuexperimente an Strahlrohren und Neutronenleitern. Aber auch die Bestrahlung von Materialien und kernphysikalische Experimente werden hier durchgeführt.

Der FRM II ist ein sogenannter Schwimmbadreaktor. Sein Reaktorkern befindet sich in einem nach oben hin offenen Becken. Das Becken gliedert sich in ein Reaktor- und ein Absetzbecken, das 700 Kubikmeter vollentsalztes Wasser fasst. In ihm lagern die verbrauchten Brennelemente. 

Der FRM II wird mit hoch angereichertem Uran-235 betrieben. Seit Jahren laufen bei der TUM Forschungsarbeiten, um den Reaktor auf niedrig angereichertes Uran-235 umzurüsten. Eine Lösung scheint nun in Sicht. Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, das den Reaktor finanziert, hat im April 2023 dem Plan der TUM zur Umrüstung des Reaktors auf niedrig angereichertes Uran (LEU) zugestimmt. Nun können die Vorbereitungen zum Genehmigungsverfahren für den neuen Brennstoff und die Umrüstung starten.

 

Der Forschungsreaktor FRM II auf dem Forschungscampus in Garching bei München
© TUM / Schürrmann
Forschungsreaktor FRM II in München

TRIGA Mark II der Universität Mainz. Seit 1965 ist der Forschungsreaktor TRIGA Mark II (FRMZ) an der Universität Mainz als Neutronenquelle im Dienst der Forschung im Einsatz. Der FRMZ verfügt über eine thermische Leistung von 100 Kilowatt (kW). Über eine Pulseinrichtung kann er kurzfristig eine Leistung von 250 Megawatt erreichen. Der Forschungsreaktor zählt zu den sogenannten TRIGA-Reaktoren, die zu den weltweit am häufigsten eingesetzten Forschungsreaktorbautypen gehören.

TRIGA steht für „Training, Research, Isotopes, General Atomic“. Von seiner Bauart her ist der TRIGA – genauso wie der FRM II – ein kleiner Schwimmbadreaktor. Die Besonderheit eines TRIGA liegt in seinen Brennelementen, die aus einer Uran-Zirkonhydrid-Mischung bestehen. Uran ist dabei der Brennstoff, während Zirkonhydrid als Moderator dafür sorgt, die Bewegungsgeschwindigkeit der freien Neutronen abzubremsen. 

Der Mainzer Reaktor wird vorwiegend für angewandte Forschung und Grundlagenforschung in den Bereichen Kernchemie und Kernphysik genutzt.

Siemens Unterrichtsreaktor Stuttgart. Der Siemens Unterrichtsreaktor Stuttgart (SUR) ist ein Kernreaktor im Kleinformat. Der Forschungsreaktor ist für eine Leistung von 100 Milliwatt (mW) ausgelegt, kann allerdings kurzfristig auch auf bis zu 1.000 mW erhöht werden. Der SUR wird seit 1964 von Studierenden und Reaktorpersonal für Praktika zur Demonstration der Neutronenquelle, der Grundlagen der Kernspaltung und der Steuerung des Reaktors eingesetzt. Der Reaktor ist mit verschiedenen Experimentierkanälen für Versuche ausgerüstet.

Mehrere Brennstoff-Moderator-Platten aus einem Uran-Polyethylen-Gemisch füllen den Reaktorkern. Da die Leistung des Reaktors sehr gering ist, ist der Abbrand – d. h. der Verbrauch von Brennstoff – sehr klein und die Lebensdauer des Reaktorkerns damit praktisch fast unbegrenzt; bei anderen Reaktoren notwendige Wechsel der Brennelemente entfallen. 

Geregelt wird der Reaktor über zwei Absorberplatten, mit denen Neutronen „eingefangen“ werden können, sodass sie nicht mehr für Kernspaltungen zur Verfügung stehen. Wegen seiner geringen Leistung benötigt der Reaktor keine Kühlung. Da die Kettenreaktion auch schon bei einer geringen Erhöhung der Temperatur gestoppt wird, kann er als inhärent sicher bezeichnet werden. 

Siemens Unterrichtsreaktor SUR-100 mit Steuerpult
© IKE / Xu Chu
Siemens Unterrichtsreaktor SUR-100 mit Steuerpult (© IKE / Xu Chu)

Siemens Unterrichtsreaktor Ulm. Der Siemens Unterrichtsreaktor (SUR) Ulm wurde ein Jahr nach dem SUR der Universität Stuttgart am Institut für Strahlenmesstechnik in Betrieb genommen. Von seinem Aufbau her entspricht er diesem und wird ebenfalls – wie der Name schon sagt – zu Unterrichtszwecken im akademischen Bereich eingesetzt.
Um die Strahlung abzuschwächen, umgibt eine 10 Zentimeter dicke Bleiabschirmung den Reaktorkessel und den ihn umgebenden Grafitreflektor. Die Bleiabschirmung ist wiederum von einem Wassertank umgeben.

Siemens Unterrichtsreaktor Furtwangen. Am Institut für Strahlungsmesstechnik der Universität Furtwangen ist seit 1973 ein Siemens-Unterrichtsreaktor (SUR-100) für die Forschung und Lehre im Einsatz. Unter anderem werden hier Gamma-Dosisleistungsmessungen (Ortsdosismessungen), Radonmessungen, Kontaminationsmessungen sowie Gammaspektrometrie durchgeführt. Aufbau und Funktion entsprechen dem der beiden SUR in Ulm und Stuttgart. 

Ausbildungskernreaktor II Dresden. Der Ausbildungskernreaktor II (AKR-2) wird an der Technischen Universität Dresden betrieben. Im Jahr 2005 hat er nach einem vorangegangenen Umbau des AKR-1 im Jahr 2004 als jüngster deutscher Forschungsreaktor seine Betriebsgenehmigung erhalten. 

Genauso wie im Siemens Unterrichtsreaktors (SUR) bestehen die Brennelemente aus einer Brennstoff-Moderator-Mischung aus Uran und Polyethylen. Die thermische Leistung des Reaktors liegt bei zwei Watt.

Die Kettenreaktion im AKR-2 wird durch Cadmium-Absorberstäbe gesteuert. Insgesamt drei Neutronenmesskanäle überwachen den Zustand des Reaktors. Für Messungen und Versuche gibt es zwei Experimentierkanäle. 

Ausbildungskernreaktor II (AKR-2) der Technischen Universität Dresden
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Ausbildungskernreaktor II (AKR-2) wird an der Technischen Universität Dresden

Wie sicher sind Forschungsreaktoren?

Genauso wie Leistungsreaktoren unterliegen auch Forschungsreaktoren der staatlichen Aufsicht, die von den jeweiligen Bundesländern ausgeübt wird. 

Das kerntechnische Regelwerk wird wegen des erheblich geringeren Gefährdungspotenzials allerdings abgestuft angewendet. Die Western European Nuclear Regulators Association (WENRA) – ein Zusammenschluss europäischer Atomaufsichtsbehörden hat 2020 sogenannte Safety Reference Levels für Forschungsreaktoren aufgestellt. Darin werden einheitliche Anforderungen an die Sicherheit von Forschungsreaktoren formuliert. Es wird sich am hohen Sicherheitsniveau und den entsprechenden Anforderungen der Safety Reference Levels für Leistungsreaktoren orientiert. 

Zusätzlich werden Forschungsreaktoren aufgrund ihres Brennstoffinventars regelmäßig durch die europäische Atomenergiebehörde (EURATOM) und die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) kontrolliert. Auf diese Weise soll die unerlaubte Verbreitung von waffenfähigem Kernmaterial verhindert werden.

Ende des Life Cycles: Rückbau von Forschungsreaktoren

Stilllegung und Rückbau von Forschungsreaktoren laufen nach demselben Prinzip wie bei Kernkraftwerken ab. Zunächst muss der Abbau des Reaktors beantragt und genehmigt werden, im Anschluss folgen Dekontamination, Abbau und Zerlegen der einzelnen Komponenten sowie die Konditionierung des Abfalls. Im Vergleich zum Kernkraftwerk sind beim Forschungsreaktor das radioaktive Inventar und die Größe der Anlage deutlich kleiner.

Darüber hinaus fehlen die Anlagenteile zur Stromerzeugung, wie zum Beispiel Turbine und Generator. Der Rückbau eines Forschungsreaktors kann deshalb mit einigen Monaten oder Jahren viel kürzer als der eines Leistungsreaktors ausfallen - dessen Stilllegung dauert im Durchschnitt 15 Jahre. Bislang wurden in Deutschland 31 Forschungsreaktoren komplett zurückgebaut.

Bedeutung von Forschungsreaktoren für die Arbeit der GRS

Die GRS verfolgt die internationalen Aktivitäten zur Sicherheit von Forschungsreaktoren. In eigenen Forschungsprojekten untersucht und bewertet sie bestimmte Sicherheitsaspekte näher – wie beispielsweise die Alterung von Bauteilen oder den Rückbau von Forschungsreaktoren.